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Marktreport II: Comics zwischen Höhenflug und Niedergang

von am 11. Juli 2018

Comic Boom dank MCU

Der Comic-Boom scheint nach wie vor ungebrochen. Nie war das Angebot im Fachhandel größer. Zu keiner Zeit gab es eine vergleichbare Präsenz intermedialer Referenzen. Spielfilme, Serienformate, digitale und analoge Spiele, Spielwaren, Kostüme… in allen Bereichen findet man breitenwirksame und kommerziell erfolgreiche Dependancen zur bunten Welt der Comics. Ob wir das Marvel Cinematic Universe betrachten, Serien wie Walking Dead oder digitale Spiele in Gotham City. Comicwelten sind weit über den relativ kleinen Kreis der Nerds und Fans hinaus bekannt und erfolgreich. Ähnlich wie beim Boom der Fantasy oder Science Fiction Verfilmungen und Umsetzungen lässt der kommerzielle Erfolg solcher Adaptionen das ursprüngliche Medium weit hinter sich. Die gewaltigen Resourcen bestehender Konzepte und über lange Zeiträume gewachsener Phantasiewelten entladen sich jetzt, da eine adäquate Visualisierung möglich geworden ist, explosionsartig auf Bildschirme und Leinwände. Die Comicverlage nutzen den Rückfluss zweckmäßig für Auflagenerhöhungen und Sortimentserweiterungen. Diese Synergieeffekte führen scheinbar zu einem unvergleichlich anhaltenden Boom einer Branche, die vorher tief in den Schatten verborgen war.

Soweit so gut, aber…

Leider steht diesem erfreulichen Effekt, der die von uns allen geliebte Comic-Kultur befeuert ein viel mächtiger Umkehrsog entgegen. Zeit ist endlich und das Lesen – auch von Comics – tritt schlicht und ergreifend in eine ungeahnte Konkurrenzsituation mit dem Überangebot wesentlich leichter zu konsumierender Film- oder Serienversionen. Natürlich ist "Herr der Ringe", das "Lied von Eis und Feuer" genauso wie "Avengers", "Tim & Struppi" und all die anderen zunächst einmal in aller Munde. Das kurbelt sicherlich auch den Buch- oder Comicmarkt primär an. Irgendwann kommt es dann aber dazu, dass viele der Leser, und eben nicht nur der neu gewonnenen, durch den Überfluss an Visualisierungen schlicht und ergreifend in ein Zeitmanagement Problem kommen. Und dann fällt die Wahl mit zunehmender Häufigkeit zu Gunsten der Freizeitbeschäftigung aus, die mit weniger Aufwand verbunden ist. Auf der Strecke bleibt ein junger Markt, der gerade erst dabei war, den Rückstand gegenüber anderen Nationen ein klein wenig wett zu machen. Und leider auch die wunderschöne Kunst, Comics zu lesen.

Wunschdenken und Realität

In der jetzigen Situation hat die Ausweitung in die Breite bereits stattgefunden. Das ist schön und begrüßenswert im Sinne kultureller Vielfalt, aber mit Vorsicht zu betrachten, da sie deutlich zu Lasten der jeweiligen Auflage geht. Eine solche Entwicklung weist auf ein Missverhältnis zwischen Erwartung und Realität hin. Der Markt und die Akzeptanz wachsen deutlich geringer in die Tiefe, als erhofft. Trotzdem erweckt die mediale Präsenz den Eindruck eines potenten Segmentes, was wiederum neue Mitbewerber auf den Plan ruft. In der Folge sind etablierte Verlage gezwungen, noch weiter in die Breite zu gehen und so weiter.
Eine Vergrößerung des Marktes wäre für alle Beteiligten zielführend, ist jedoch mit deutlich mehr Aufwand verbunden – pekuniär und temporär, als auf dem bestehenden Markt Anteile zu erkämpfen. Obwohl es mit verlagsübergreifenden Aktionen wie dem Gratis Comic Tag sogar Ansätze in diese Richtung gibt, ist ein Ausbau des Marktes wenn, dann nur marginal oder temporär geglückt. Und man darf eines nicht vergessen. Wir sprechen hier in erster Linie vom deutschen Markt. In den Vereinigten Staaten, wo die treibenden Kräfte hinter dem Marvel Cinematic Universe zu finden sind, war die Erschließung neuer Märkte in neuen Medien die Reaktion auf sinkende Auflagenzahlen. Konzerne wie Marvel können dabei Rückgänge im Printbereich durch enorme Zugewinne in anderen Medien mehr als kompensieren. So sind die Faktoren, die für den Höhenflug des Comicmarktes zumindest mitverantwortlich sind zugleich auch nicht unmaßgeblich Ursache für den Niedergang – und umgekehrt…

Wege aus der Krise

Leider ist eines der ersten Opfer der bevorstehenden Krise, dass zwar nach wie vor jede Menge Schrott in den Verlagsprogrammen landet, die Breite immer weiter auswalzend, aber gleichzeitig eines der wichtigsten Standardwerke "Comics als erzählende Kunst" von Will Eisner jetzt doch, nach jahrelanger Verschiebung, nicht erscheint. Um die relativ junge Geschichte der Comic-Kultur zu verstehen, muss man sich mit dem Medium befassen. Um die Faszination dieser eigenständigen Kunstform kennen zu lernen gibt es nur einen Weg: Comics zu lesen. Die Verknüpfung zwischen Bild und Erzählung ist einzigartig und phantasievoll. Die Spanne grafischer Erzählungen oder sequentieller Kunst reicht von lustigen Kindergeschichten bis zu romanhaften philosophischen Druckwerken. Wir laden euch ein, all diese Welten kennenzulernen.

Es reicht nicht, den Markt zu erweitern, wir müssen auch den Geist erweitern.

 

von am 11. Juli 2018

Comic Boom dank MCU

Der Comic-Boom scheint nach wie vor ungebrochen. Nie war das Angebot im Fachhandel größer. Zu keiner Zeit gab es eine vergleichbare Präsenz intermedialer Referenzen. Spielfilme, Serienformate, digitale und analoge Spiele, Spielwaren, Kostüme… in allen Bereichen findet man breitenwirksame und kommerziell erfolgreiche Dependancen zur bunten Welt der Comics. Ob wir das Marvel Cinematic Universe betrachten, Serien wie Walking Dead oder digitale Spiele in Gotham City. Comicwelten sind weit über den relativ kleinen Kreis der Nerds und Fans hinaus bekannt und erfolgreich. Ähnlich wie beim Boom der Fantasy oder Science Fiction Verfilmungen und Umsetzungen lässt der kommerzielle Erfolg solcher Adaptionen das ursprüngliche Medium weit hinter sich. Die gewaltigen Resourcen bestehender Konzepte und über lange Zeiträume gewachsener Phantasiewelten entladen sich jetzt, da eine adäquate Visualisierung möglich geworden ist, explosionsartig auf Bildschirme und Leinwände. Die Comicverlage nutzen den Rückfluss zweckmäßig für Auflagenerhöhungen und Sortimentserweiterungen. Diese Synergieeffekte führen scheinbar zu einem unvergleichlich anhaltenden Boom einer Branche, die vorher tief in den Schatten verborgen war.

Soweit so gut, aber…

Leider steht diesem erfreulichen Effekt, der die von uns allen geliebte Comic-Kultur befeuert ein viel mächtiger Umkehrsog entgegen. Zeit ist endlich und das Lesen – auch von Comics – tritt schlicht und ergreifend in eine ungeahnte Konkurrenzsituation mit dem Überangebot wesentlich leichter zu konsumierender Film- oder Serienversionen. Natürlich ist "Herr der Ringe", das "Lied von Eis und Feuer" genauso wie "Avengers", "Tim & Struppi" und all die anderen zunächst einmal in aller Munde. Das kurbelt sicherlich auch den Buch- oder Comicmarkt primär an. Irgendwann kommt es dann aber dazu, dass viele der Leser, und eben nicht nur der neu gewonnenen, durch den Überfluss an Visualisierungen schlicht und ergreifend in ein Zeitmanagement Problem kommen. Und dann fällt die Wahl mit zunehmender Häufigkeit zu Gunsten der Freizeitbeschäftigung aus, die mit weniger Aufwand verbunden ist. Auf der Strecke bleibt ein junger Markt, der gerade erst dabei war, den Rückstand gegenüber anderen Nationen ein klein wenig wett zu machen. Und leider auch die wunderschöne Kunst, Comics zu lesen.

Wunschdenken und Realität

In der jetzigen Situation hat die Ausweitung in die Breite bereits stattgefunden. Das ist schön und begrüßenswert im Sinne kultureller Vielfalt, aber mit Vorsicht zu betrachten, da sie deutlich zu Lasten der jeweiligen Auflage geht. Eine solche Entwicklung weist auf ein Missverhältnis zwischen Erwartung und Realität hin. Der Markt und die Akzeptanz wachsen deutlich geringer in die Tiefe, als erhofft. Trotzdem erweckt die mediale Präsenz den Eindruck eines potenten Segmentes, was wiederum neue Mitbewerber auf den Plan ruft. In der Folge sind etablierte Verlage gezwungen, noch weiter in die Breite zu gehen und so weiter.
Eine Vergrößerung des Marktes wäre für alle Beteiligten zielführend, ist jedoch mit deutlich mehr Aufwand verbunden – pekuniär und temporär, als auf dem bestehenden Markt Anteile zu erkämpfen. Obwohl es mit verlagsübergreifenden Aktionen wie dem Gratis Comic Tag sogar Ansätze in diese Richtung gibt, ist ein Ausbau des Marktes wenn, dann nur marginal oder temporär geglückt. Und man darf eines nicht vergessen. Wir sprechen hier in erster Linie vom deutschen Markt. In den Vereinigten Staaten, wo die treibenden Kräfte hinter dem Marvel Cinematic Universe zu finden sind, war die Erschließung neuer Märkte in neuen Medien die Reaktion auf sinkende Auflagenzahlen. Konzerne wie Marvel können dabei Rückgänge im Printbereich durch enorme Zugewinne in anderen Medien mehr als kompensieren. So sind die Faktoren, die für den Höhenflug des Comicmarktes zumindest mitverantwortlich sind zugleich auch nicht unmaßgeblich Ursache für den Niedergang – und umgekehrt…

Wege aus der Krise

Leider ist eines der ersten Opfer der bevorstehenden Krise, dass zwar nach wie vor jede Menge Schrott in den Verlagsprogrammen landet, die Breite immer weiter auswalzend, aber gleichzeitig eines der wichtigsten Standardwerke "Comics als erzählende Kunst" von Will Eisner jetzt doch, nach jahrelanger Verschiebung, nicht erscheint. Um die relativ junge Geschichte der Comic-Kultur zu verstehen, muss man sich mit dem Medium befassen. Um die Faszination dieser eigenständigen Kunstform kennen zu lernen gibt es nur einen Weg: Comics zu lesen. Die Verknüpfung zwischen Bild und Erzählung ist einzigartig und phantasievoll. Die Spanne grafischer Erzählungen oder sequentieller Kunst reicht von lustigen Kindergeschichten bis zu romanhaften philosophischen Druckwerken. Wir laden euch ein, all diese Welten kennenzulernen.

Es reicht nicht, den Markt zu erweitern, wir müssen auch den Geist erweitern.

 

2 Kommentare zu “Marktreport II: Comics zwischen Höhenflug und Niedergang”

  1. Peter Köber sagt:

    Eine sehr gute und auch objektive Betrachtung. Es ist sehr interesant das zu lesen und danach darüber nach zudenken und zu diskutieren. Ich freue mich auf weitere von diesen Einblicken.

    1. Gerd sagt:

      Danke für das Lob. Ich versuche immer ein paar allgemeine Betrachtungen einfließen zu lassen. Natürlich ist man immer nur so objektiv, wie man es eben sein kann, wenn man involviert ist :-). Trotzdem geben mir solche Beiträge immer auch ein wenig Gelegenheit zur Reflektion und diese zu teilen ist ja auch sinnvoll. Freut mich, Anstöße gegeben zu haben.
      Gerd

comicdealer.de