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Adventskalender 2025 T-04: Waterwitch

von am 20. Dezember 2025

  • Molly O´Neill
    WATERWITCH. Roman.
    Aus dem Englischen von Judith C. Vogt
    (GREENTEETH / 2025)
    München, Piper, 2025, 382 S.
    ISBN 978-3-492-70677-3 / 22,00 Euro

Im Laufe der Jahre haben mir eine unüberschaubare Menge Menschen Bücher empfohlen. Ich habe schon vor Jahrzehnten angefangen nachzufragen, aus welchem Grund mir das jeweilige Buch gefallen könnte. Eines der positiven Ergebnisse ist, dass ich dadurch Personen besser kennenlerne, ein anderes, dass ich manchmal mit einem guten Gespräch und einem tollen Lese-Erlebnis belohnt werde. So bin ich auch zu dem Erstlingsroman GREENTEETH, in der deutschen Übersetzung WATERWITCH von Molly O´Neill gekommen. Eine liebe Freundin hatte gerade die Lektüre beendet und war begeistert. Als sie dann hinzufügte, dass Judith Vogt die Übersetzerin ist, hatte das Buch gewonnen.

Erzählt wird die Geschichte von der Ich-Erzählerin Jenny Greenteeth, einer Kreatur, die im 17. Jahrhundert seit vielen Hundert Jahren in einer Höhle in einem Teich in der Nähe von Chipping Appelby in Wessex lebt. Sie hat ihren Teich eine sehr lange Zeit nicht verlassen und hat einen Putzfimmel, oder wie sie selber sagen würde: Sie mag es, wenn ihr See nett und aufgeräumt aussieht. Ihr Element ist das Wasser, sie kann aber auch Luft atmen und sich an Land fortbewegen. Sie wird während ihres Frühlingsputzes gestört, als die Hexe Temperance Crump gefesselte in ihren See geworfen wird. Da sie keinen Hunger hat und die junge Frau ihrer Tochter so ähnlich sieht, frisst sie sie nicht, sondern beschließt, ihr das Leben zu retten. Denn das Geschöpf, das der Hexe nach dem Leben trachtet, bedroht die ganzen britischen Inseln. So beginnt eine Quest, der sich im Laufe der Erzählung noch der hausierende Kobold Brackus Marsh und der Jagdhund Cavall, der lange Zeit mit der Wilden Jagd gezogen ist, anschließen.
Eine bunte Mischung an Wesen aus vor allem englischen und walisischen Legenden tragen dazu bei, die Handlung voranzutreiben. Die Magie, die seit Anbeginn das Land durchzogen hat, wird immer schwächer, und die Menschen leben kaum noch nach den alten Bräuchen. Gwyn ap Nudd, der in alten Zeiten die Wilde Jagd anführte, und seine wunderschöne, geliebte Frau Creiddylad herrschen jetzt wie ein Königspaar über den reisenden Hofstaat der High Fae, dessen Zweck nur noch aus dem allabendlichen Abhalten von Festgelagen und Tanzveranstaltungen besteht. Die Drachen sind auch schon lange ausgerottet. Aber die Wildwege durchziehen immer noch das Land, und noch gibt es eine Chance, mithilfe von Magie und Entschlossenheit die Gefahr abzuwenden.

Ich schätze die glaubwürdigen Entwicklungen der Beziehungen zwischen den Protagonist*innen, denn es entstehen Konflikte, als im Laufe der Reise verschiedenartigen Wertesysteme aufeinander prallen. Wie können Wesen mit Anderen über die Grenzen der Art hinweg, vertraut werden, wie viel kann oder muss eine Freundschaft aushalten können, wer steht mir näher: meinesgleichen, mit denen ich die Ethnie o.Ä. teile, oder diejenigen, mit denen mich gewachsene Bande verschweißt haben, weil sie bedeutende Rollen in meinem Leben spielen.
Solange ich mich innerhalb der Parameter der Erzählung befinde, beruht die »Anwendbarkeit auf das Denken und die Erfahrung« wie Tolkien es formuliert, gerade nicht auf der willentlichen Unterdrückung des Unglaubens (»willing suspence of disbelief«), sondern auf dem mutigen Zulassen bisher unbekannte Möglichkeiten durchzuspielen. Fairy-Stories besitzen die Fähigkeit unsere Sicht auf unsere Realität und unsere Welt zu schärfen, uns unsere Zeit aus einem anderen Blickwinkel sehen zu lassen.  In diesem Buch werden verschiedene Arten mit Anderen zusammenzuarbeiten in der Raum gesellt, die Protagonist*innen schaffen sich in der sich verändernden Welt eine Familie, deren Bindungen kein Verwandtschaftsverhältnis voraussetzt. Denn wer stak ist, muss diese Stärke nicht zwangsläufig gegen Andere oder Schwächere einsetzen.
Molly O´Neills Roman bietet ein angenehmes Maß an erwartetem und an von mir so gar nicht vorhergesehenen Wendungen der Handlung. Die Sprache ist toll. Molly O´Neill schreibt mitreißend, und Judith Vogt hat das Buch sehr angemessen übersetzt, auch wenn Jennys Ton bei ihr etwas kecker wirkt. Am Schluss ist auch eine Seite mit Anmerkungen zur Aussprache der walisischen Namen hinzugefügt, die ich sehr hilfreich finde.
Mir hat auch gefallen, dass die schlimmen Dinge, die eingetroffen sind, weit hinter meinen Befürchtungen zurückblieben. Manchmal ist es gut unrecht zu haben. Das nennt sich wohl »Cosy Fantasy«.

Mir ist aber etwas, sowohl im Original, wie auch in der Übersetzung aufgefallen, von dem ich nicht sagen kann, ob es beim Korrekturlesen übersehen wurde, oder als spezifisches Merkmal in die Handlung gehört. Auf S. 61 der deutschen Ausgabe sind die Augen von Brackus Marsh blau, zwei Seiten später, auf S. 63 braun. Ich bin verwirrt.
Anmerkung fast zum Schluss: den Titel WATERWITCH finde ich auf mehreren Ebenen total daneben: Ich hasse es, wenn ich bei all diesen Büchern mit englischsprachigen Titeln erst erforschen muss, in welcher Sprache der Text ist. (Das schmälert meine Kauflust ganz erheblich, und ich frage mich jedes Mal, warum es nicht auch noch zur Übersetzung des Titels gereicht hat.) In diesem speziellen Fall ist der Titel auch inhaltlich falsch, da Jenny Greenteeth keine Hexe ist, sonder ein Monster, das in einem See lebt. Sie gehört zu den menschenähnlichen Fae und ist wohl mit Grendels Mutter aus dem altenglischen Versepos BEOWULF verwandt, die als »nicor« (Nixe) bezeichnet wird.
Molly O´Neill hat mit WATERWITCH ein herausragend gutes, gutgeschriebenes und spannendes Buch vorgelegt, das darüber hinaus auch ein Einzelroman ist!

Matita Illmer

warenkorbIhr könnt alle lieferbaren Artikel
im Webshop bestellen oder via e-mail im Laden anfragen

von am 20. Dezember 2025

  • Molly O´Neill
    WATERWITCH. Roman.
    Aus dem Englischen von Judith C. Vogt
    (GREENTEETH / 2025)
    München, Piper, 2025, 382 S.
    ISBN 978-3-492-70677-3 / 22,00 Euro

Im Laufe der Jahre haben mir eine unüberschaubare Menge Menschen Bücher empfohlen. Ich habe schon vor Jahrzehnten angefangen nachzufragen, aus welchem Grund mir das jeweilige Buch gefallen könnte. Eines der positiven Ergebnisse ist, dass ich dadurch Personen besser kennenlerne, ein anderes, dass ich manchmal mit einem guten Gespräch und einem tollen Lese-Erlebnis belohnt werde. So bin ich auch zu dem Erstlingsroman GREENTEETH, in der deutschen Übersetzung WATERWITCH von Molly O´Neill gekommen. Eine liebe Freundin hatte gerade die Lektüre beendet und war begeistert. Als sie dann hinzufügte, dass Judith Vogt die Übersetzerin ist, hatte das Buch gewonnen.

Erzählt wird die Geschichte von der Ich-Erzählerin Jenny Greenteeth, einer Kreatur, die im 17. Jahrhundert seit vielen Hundert Jahren in einer Höhle in einem Teich in der Nähe von Chipping Appelby in Wessex lebt. Sie hat ihren Teich eine sehr lange Zeit nicht verlassen und hat einen Putzfimmel, oder wie sie selber sagen würde: Sie mag es, wenn ihr See nett und aufgeräumt aussieht. Ihr Element ist das Wasser, sie kann aber auch Luft atmen und sich an Land fortbewegen. Sie wird während ihres Frühlingsputzes gestört, als die Hexe Temperance Crump gefesselte in ihren See geworfen wird. Da sie keinen Hunger hat und die junge Frau ihrer Tochter so ähnlich sieht, frisst sie sie nicht, sondern beschließt, ihr das Leben zu retten. Denn das Geschöpf, das der Hexe nach dem Leben trachtet, bedroht die ganzen britischen Inseln. So beginnt eine Quest, der sich im Laufe der Erzählung noch der hausierende Kobold Brackus Marsh und der Jagdhund Cavall, der lange Zeit mit der Wilden Jagd gezogen ist, anschließen.
Eine bunte Mischung an Wesen aus vor allem englischen und walisischen Legenden tragen dazu bei, die Handlung voranzutreiben. Die Magie, die seit Anbeginn das Land durchzogen hat, wird immer schwächer, und die Menschen leben kaum noch nach den alten Bräuchen. Gwyn ap Nudd, der in alten Zeiten die Wilde Jagd anführte, und seine wunderschöne, geliebte Frau Creiddylad herrschen jetzt wie ein Königspaar über den reisenden Hofstaat der High Fae, dessen Zweck nur noch aus dem allabendlichen Abhalten von Festgelagen und Tanzveranstaltungen besteht. Die Drachen sind auch schon lange ausgerottet. Aber die Wildwege durchziehen immer noch das Land, und noch gibt es eine Chance, mithilfe von Magie und Entschlossenheit die Gefahr abzuwenden.

Ich schätze die glaubwürdigen Entwicklungen der Beziehungen zwischen den Protagonist*innen, denn es entstehen Konflikte, als im Laufe der Reise verschiedenartigen Wertesysteme aufeinander prallen. Wie können Wesen mit Anderen über die Grenzen der Art hinweg, vertraut werden, wie viel kann oder muss eine Freundschaft aushalten können, wer steht mir näher: meinesgleichen, mit denen ich die Ethnie o.Ä. teile, oder diejenigen, mit denen mich gewachsene Bande verschweißt haben, weil sie bedeutende Rollen in meinem Leben spielen.
Solange ich mich innerhalb der Parameter der Erzählung befinde, beruht die »Anwendbarkeit auf das Denken und die Erfahrung« wie Tolkien es formuliert, gerade nicht auf der willentlichen Unterdrückung des Unglaubens (»willing suspence of disbelief«), sondern auf dem mutigen Zulassen bisher unbekannte Möglichkeiten durchzuspielen. Fairy-Stories besitzen die Fähigkeit unsere Sicht auf unsere Realität und unsere Welt zu schärfen, uns unsere Zeit aus einem anderen Blickwinkel sehen zu lassen.  In diesem Buch werden verschiedene Arten mit Anderen zusammenzuarbeiten in der Raum gesellt, die Protagonist*innen schaffen sich in der sich verändernden Welt eine Familie, deren Bindungen kein Verwandtschaftsverhältnis voraussetzt. Denn wer stak ist, muss diese Stärke nicht zwangsläufig gegen Andere oder Schwächere einsetzen.
Molly O´Neills Roman bietet ein angenehmes Maß an erwartetem und an von mir so gar nicht vorhergesehenen Wendungen der Handlung. Die Sprache ist toll. Molly O´Neill schreibt mitreißend, und Judith Vogt hat das Buch sehr angemessen übersetzt, auch wenn Jennys Ton bei ihr etwas kecker wirkt. Am Schluss ist auch eine Seite mit Anmerkungen zur Aussprache der walisischen Namen hinzugefügt, die ich sehr hilfreich finde.
Mir hat auch gefallen, dass die schlimmen Dinge, die eingetroffen sind, weit hinter meinen Befürchtungen zurückblieben. Manchmal ist es gut unrecht zu haben. Das nennt sich wohl »Cosy Fantasy«.

Mir ist aber etwas, sowohl im Original, wie auch in der Übersetzung aufgefallen, von dem ich nicht sagen kann, ob es beim Korrekturlesen übersehen wurde, oder als spezifisches Merkmal in die Handlung gehört. Auf S. 61 der deutschen Ausgabe sind die Augen von Brackus Marsh blau, zwei Seiten später, auf S. 63 braun. Ich bin verwirrt.
Anmerkung fast zum Schluss: den Titel WATERWITCH finde ich auf mehreren Ebenen total daneben: Ich hasse es, wenn ich bei all diesen Büchern mit englischsprachigen Titeln erst erforschen muss, in welcher Sprache der Text ist. (Das schmälert meine Kauflust ganz erheblich, und ich frage mich jedes Mal, warum es nicht auch noch zur Übersetzung des Titels gereicht hat.) In diesem speziellen Fall ist der Titel auch inhaltlich falsch, da Jenny Greenteeth keine Hexe ist, sonder ein Monster, das in einem See lebt. Sie gehört zu den menschenähnlichen Fae und ist wohl mit Grendels Mutter aus dem altenglischen Versepos BEOWULF verwandt, die als »nicor« (Nixe) bezeichnet wird.
Molly O´Neill hat mit WATERWITCH ein herausragend gutes, gutgeschriebenes und spannendes Buch vorgelegt, das darüber hinaus auch ein Einzelroman ist!

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