anrufen
finden

Penny Lane über den Untergang des Abendlands: „Gott schütze Amerika“ von Warren Ellis

von am 9. August 2009

„Crooked little vein“ – könnte Krampfader heißen. Eine kranke Ader zum Herzen oder eine kranke Ader zum Hirn? Egal, schon beim Originaltitel habe ich mir gewünscht besser Englisch zu können, damit das ganze dreckige aber soundige Vokabular, das aus manchem begabten Kopf hervorquillt und den Finger in die Wunde legt, mir direkt ins Blut schießt.  Wer Warren Ellis´ Comics mal im Original gelesen hat, weiß, dass diese Übersetzung seines ersten Romans einfach zu brav, zu akademisch, zu arielgewaschen ist. Da klingt Rattenpisse nach Streichelzoo und ficken nach Blümchensex. Ein bisschen mehr Scharfsinn und –züngigkeit wären eine Wohltat und dem Autor angemessen…

Warren Ellis kennt sein Spielzeug: wenn man morgens verkatert und ungewaschen mit dem Helden der Story, Michael McGill, in einer miesen verdreckten Bude in Manhattan aufwacht, die auch noch als Büro dient und die man mit einer Ratte teilt, hört man die Stimmen von Chandler, Spillane, Vachss. Er lässt ihn wieder auferstehen, den Prototypen des Schnüfflers, immer Looser, immer Säufer und immer mit einer geheimnsivollen Schönen an seiner Seite. Desillusioniert aber voller Moral im Kampf gegen das Böse –  der Cowboy der Großstadt. Der Held bleibt der Gleiche, das Böse hat sich geändert. Wo Dirty Harry noch gegen  MaGnucci oder andere mafiösen Verbrechersyndicate kämpfte, ist Mc Gill auf der Suche nach der wahren Verfassung Amerikas, niedergelegt in einem noch von den Gründungsvätern geschriebenen, geheimen Buch. Zurück in den Händen der Staatsgewalt soll es Recht, Ordnung und alte Werte in Land und Leuten wiederherstellen.

Warren Ellis will keinen Krimi erzählen, schon gar keinen politischen. Er nimmt uns mit auf eine Tour ins dreckige Herz Amerikas, das überall sein könnte und immer unser eigenes ist. Es ist ein Buch gegen die Verdummungsindustrie der Medien, gegen unsere Blindheit gegenüber den Manipulationen des Internets und unsere Bereitschaft,  alles mitzumachen, weil es neu, geil, sensationell ist oder um einfach dazu zu gehören. Und Warren Ellis wäre nicht Warren Ellis, würde er nicht an der Stelle noch einen draufsetzen, wo die meisten Leser schon lange jegliche Ideen von gutem oder schlechtem Geschmack hinter sich gelassen haben und nur noch den Kopf schütteln.  In einer Welt, in der die größten Perversitäten Mainstream sind und alles schon gesehen wurde, in einer Welt, in der es nur darum geht, was noch mehr und noch weiter gehen könnte, als alles schon da Gewesene, wie soll man sich da bemerkbar machen?

Humor, Wahnsinn und eine gute Geschichte – Raymond Chandler und Douglas Adams, wie schon der Klappentext verspricht. Und eine Stimme, die wachmachen will. Ein Autor, der schon lange nicht mehr schlafen kann.

Crooked Little Vein

Warren Ellis

Taschenbuch, 304 Seiten, € 7,95

von am 9. August 2009

„Crooked little vein“ – könnte Krampfader heißen. Eine kranke Ader zum Herzen oder eine kranke Ader zum Hirn? Egal, schon beim Originaltitel habe ich mir gewünscht besser Englisch zu können, damit das ganze dreckige aber soundige Vokabular, das aus manchem begabten Kopf hervorquillt und den Finger in die Wunde legt, mir direkt ins Blut schießt.  Wer Warren Ellis´ Comics mal im Original gelesen hat, weiß, dass diese Übersetzung seines ersten Romans einfach zu brav, zu akademisch, zu arielgewaschen ist. Da klingt Rattenpisse nach Streichelzoo und ficken nach Blümchensex. Ein bisschen mehr Scharfsinn und –züngigkeit wären eine Wohltat und dem Autor angemessen…

Warren Ellis kennt sein Spielzeug: wenn man morgens verkatert und ungewaschen mit dem Helden der Story, Michael McGill, in einer miesen verdreckten Bude in Manhattan aufwacht, die auch noch als Büro dient und die man mit einer Ratte teilt, hört man die Stimmen von Chandler, Spillane, Vachss. Er lässt ihn wieder auferstehen, den Prototypen des Schnüfflers, immer Looser, immer Säufer und immer mit einer geheimnsivollen Schönen an seiner Seite. Desillusioniert aber voller Moral im Kampf gegen das Böse –  der Cowboy der Großstadt. Der Held bleibt der Gleiche, das Böse hat sich geändert. Wo Dirty Harry noch gegen  MaGnucci oder andere mafiösen Verbrechersyndicate kämpfte, ist Mc Gill auf der Suche nach der wahren Verfassung Amerikas, niedergelegt in einem noch von den Gründungsvätern geschriebenen, geheimen Buch. Zurück in den Händen der Staatsgewalt soll es Recht, Ordnung und alte Werte in Land und Leuten wiederherstellen.

Warren Ellis will keinen Krimi erzählen, schon gar keinen politischen. Er nimmt uns mit auf eine Tour ins dreckige Herz Amerikas, das überall sein könnte und immer unser eigenes ist. Es ist ein Buch gegen die Verdummungsindustrie der Medien, gegen unsere Blindheit gegenüber den Manipulationen des Internets und unsere Bereitschaft,  alles mitzumachen, weil es neu, geil, sensationell ist oder um einfach dazu zu gehören. Und Warren Ellis wäre nicht Warren Ellis, würde er nicht an der Stelle noch einen draufsetzen, wo die meisten Leser schon lange jegliche Ideen von gutem oder schlechtem Geschmack hinter sich gelassen haben und nur noch den Kopf schütteln.  In einer Welt, in der die größten Perversitäten Mainstream sind und alles schon gesehen wurde, in einer Welt, in der es nur darum geht, was noch mehr und noch weiter gehen könnte, als alles schon da Gewesene, wie soll man sich da bemerkbar machen?

Humor, Wahnsinn und eine gute Geschichte – Raymond Chandler und Douglas Adams, wie schon der Klappentext verspricht. Und eine Stimme, die wachmachen will. Ein Autor, der schon lange nicht mehr schlafen kann.

Crooked Little Vein

Warren Ellis

Taschenbuch, 304 Seiten, € 7,95

2 Kommentare zu “Penny Lane über den Untergang des Abendlands: „Gott schütze Amerika“ von Warren Ellis”

  1. Jesus sagt:

    Sehr amüsantes Buch.
    Habe doch tatsächlich zwei mir bis dato unbekannte Perversionen kennengelernt. Meine Frau wollte gleich Spritzen kaufen, aber ich habe es ihr verboten 😉

  2. incredibleherc sagt:

    Warren Ellis, ein Autor dem es immer wieder gelingt, mich zu überraschen, manchmal deswegen, weil man kurz vor dem Ende einer seiner Geschichten steht und sich fragt, was denn der ganze Scheiß eigentlich soll, bis er es dann auf den letzten paar Seiten auflöst, und man sich wundert, warum man bis zum Ende nichts gemerkt hat, obwohl eigentlich alle Anzeichen zur Verfügung standen.
    Oder wenn er so etwas geniales schreibt wie Crecy, Planetary (Nr. 27 kommt im Oktober, endlich) Aetheric Mechanics, Black Summer, oder aber, völlig überraschend, "Crooked Little Vein".
    Ich war äußerst gespannt gewesen, als es im Juli 2007 endlich erschienen war, und hab es einem Wochenende weggelesen, und, natürlich ist es ihm wieder gelungen, mich zu überraschen.
    Nicht wegen all dem alltäglichen Wahnsinn, der immer mehr zur Normalität zu werden scheint in unserer Welt, und auch nicht wegen der Ohnmacht aber auch der Macht des einzelnen, die in diesem Buch zu finden ist. Es lag auch nicht daran, dass er Abnormitäten schildert die ziemlich hart an der Grenze des erträglichen sind, oder dass er hier aufzeichnet, welch unglaubliche Macht dem Internet in unserer Zeit zuzuschreiben ist.
    Nein, letztendlich überrascht hat er mich damit, dass es in dieser Geschichte am Ende um das ging, was uns Menschen seit jeher antreibt und umtreibt: die Liebe, und darüber was ein Mensch bereit ist dafür aufs Spiel zu setzen und auf sich zu nehmen, für den Menschen, den er liebt, und damit hätte ich bei Warren Ellis nicht gerechnet!
    Wie gesagt, er hat mich wieder mal überrascht! ;())

    Und für alle die es interessiert, was er so tut und treibt, wenn er mal wieder nicht schläft, und was er in naher und ferner Zukunft noch so alles vor hat, hier findet man alles darüber:

    http://www.warrenellis.com/

comicdealer.de