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Eine Buchhandlung auf Reisen

von am 3. April 2016

Eine Buchhandlung auf ReisenChristopher Morley
EINE BUCHHANDLUNG AUF REISEN. Roman.
Ü: Felix Horst
(Parnassus on Wheels / 1917)
Hamburg, Atlantik, 2015, 191 S.
ISBN 978-3-455-60023-0

„Keine Kreatur auf Erde hat das Recht, sich für ein menschliches Wesen zu halten, wenn sie nicht mindestens ein gutes Buch kennt.“ (S. 65)

Vermutlich ist der Traum vom Aussteigen genauso alt wie die menschliche Zivilisation. Wenn man eingebunden ist in einen Alltag, in den Trott des ständig Wiederkehrenden, dann ist es wohl ganz normal, einmal etwas ganz anderes machen zu wollen. Und wenn dieses „Andere“ daherkommt, ganz unverhofft, in Form eines Handlungsreisenden in Büchern, der seinen 1-PS-Bücherwagen verkaufen will, dann muss eine Frau wie Helen McGill einfach zugreifen.
Mehr als fünfzehn Jahre hat sie die Farm ihres Bruders Andrew in Schuss gehalten, mehr als 6000 Laib Brot gebacken, einige zehntausend Eier aus den Gelegen ihrer Hühner genommen und viele einsame Abende allein verbracht, während Andrew, der inzwischen ein erfolgreicher Schriftsteller wurde, sich in der Weltgeschichte rumtrieb. Genug ist einfach genug! Also beschließt sie kurzerhand, ihre Ersparnisse in Roger Mifflins „Parnassus“ zu investieren, einmal ordentlich Urlaub zu machen, mit der Reisbuchhandlung hinter sich und dem guten Pegasus im Geschirr loszufahren und es ihrem Bruder einmal so richtig zu zeigen.
Der 1917 erstmals erschienene Roman von Christopher Morley spielt kurz nach dem Beginn des 20. Jahrhunderts an der Ostküste der Vereinigten Staaten. Viel Arbeit auf den Farmen, wenig Möglichkeiten außerhalb der kirchlichen Veranstaltungen Zerstreuung zu finden, Bibliotheken und Buchhandlungen nur in den größeren Städten, die man in Ermangelung von Automobilen jedoch kaum erreicht – da ist selbst ein Buchverkäufer eine gern gesehene Abwechslung.
Besonders für Frauen bot die damalige Zeit noch kaum Chancen auf etwas Eigenständigkeit. Umso mutiger und liebenswerter erscheint da das Bild, das Morley von seiner Ich-Erzählerin Helen entwirft: Sie ist nicht nur eine tüchtige Hausfrau, sondern auch eine Realistin und Pragmatikerin. Ihre Liebe zur Literatur ist nur rudimentär vorhanden, die Eloquenz mit der Mister Mifflin in allen Bereichen der Weltliteratur brilliert, fehlt ihr – noch – völlig. Aber sie hat einen wachen Geist, ist bereit, etwas Neues auszuprobieren und fühlt sich trotz ihrer vierzig Lebensjahre und einiger Pfund zu viel auf den Hüften immer noch rüstig genug für einen romantischen Ausflug.
Natürlich kann der „Professor“, wie Roger Mifflin von seinen Stammkunden genannt wird, die tapfere Miss McGill nicht ohne eine richtige Einweisung in das Buchhandelsgeschäft losfahren lassen, und so bleibt er für einige Tage als ihr Mentor und Lehrmeister an ihrer Seite. Und innerhalb kürzester Zeit entdeckt Helen nicht nur, dass Bücherverkaufen ein nicht ganz ungefährlicher Beruf ist, sondern auch, dass es mit dem rotgesichtigen, wieselflinken und mutigen Roger Mifflin zusammen doch viel mehr Spaß macht als alleine.
Aus jeder Zeile dieses schmalen Büchleins schimmert die Liebe des Autors zu seinen Figuren, zu den Büchern und zu seiner Heimat hervor, eingerahmt von einer profunden Kenntnis der Literatur und mehr als nur einer Prise Humor. EINE BUCHHANDLUNG AUF REISEN bietet genau das, wovon wir alle mehr oder weniger heimlich träumen: einen kurzweiligen und federleichten Ausstieg aus unserem Alltag.

Horst Illmer

von am 3. April 2016

Eine Buchhandlung auf ReisenChristopher Morley
EINE BUCHHANDLUNG AUF REISEN. Roman.
Ü: Felix Horst
(Parnassus on Wheels / 1917)
Hamburg, Atlantik, 2015, 191 S.
ISBN 978-3-455-60023-0

„Keine Kreatur auf Erde hat das Recht, sich für ein menschliches Wesen zu halten, wenn sie nicht mindestens ein gutes Buch kennt.“ (S. 65)

Vermutlich ist der Traum vom Aussteigen genauso alt wie die menschliche Zivilisation. Wenn man eingebunden ist in einen Alltag, in den Trott des ständig Wiederkehrenden, dann ist es wohl ganz normal, einmal etwas ganz anderes machen zu wollen. Und wenn dieses „Andere“ daherkommt, ganz unverhofft, in Form eines Handlungsreisenden in Büchern, der seinen 1-PS-Bücherwagen verkaufen will, dann muss eine Frau wie Helen McGill einfach zugreifen.
Mehr als fünfzehn Jahre hat sie die Farm ihres Bruders Andrew in Schuss gehalten, mehr als 6000 Laib Brot gebacken, einige zehntausend Eier aus den Gelegen ihrer Hühner genommen und viele einsame Abende allein verbracht, während Andrew, der inzwischen ein erfolgreicher Schriftsteller wurde, sich in der Weltgeschichte rumtrieb. Genug ist einfach genug! Also beschließt sie kurzerhand, ihre Ersparnisse in Roger Mifflins „Parnassus“ zu investieren, einmal ordentlich Urlaub zu machen, mit der Reisbuchhandlung hinter sich und dem guten Pegasus im Geschirr loszufahren und es ihrem Bruder einmal so richtig zu zeigen.
Der 1917 erstmals erschienene Roman von Christopher Morley spielt kurz nach dem Beginn des 20. Jahrhunderts an der Ostküste der Vereinigten Staaten. Viel Arbeit auf den Farmen, wenig Möglichkeiten außerhalb der kirchlichen Veranstaltungen Zerstreuung zu finden, Bibliotheken und Buchhandlungen nur in den größeren Städten, die man in Ermangelung von Automobilen jedoch kaum erreicht – da ist selbst ein Buchverkäufer eine gern gesehene Abwechslung.
Besonders für Frauen bot die damalige Zeit noch kaum Chancen auf etwas Eigenständigkeit. Umso mutiger und liebenswerter erscheint da das Bild, das Morley von seiner Ich-Erzählerin Helen entwirft: Sie ist nicht nur eine tüchtige Hausfrau, sondern auch eine Realistin und Pragmatikerin. Ihre Liebe zur Literatur ist nur rudimentär vorhanden, die Eloquenz mit der Mister Mifflin in allen Bereichen der Weltliteratur brilliert, fehlt ihr – noch – völlig. Aber sie hat einen wachen Geist, ist bereit, etwas Neues auszuprobieren und fühlt sich trotz ihrer vierzig Lebensjahre und einiger Pfund zu viel auf den Hüften immer noch rüstig genug für einen romantischen Ausflug.
Natürlich kann der „Professor“, wie Roger Mifflin von seinen Stammkunden genannt wird, die tapfere Miss McGill nicht ohne eine richtige Einweisung in das Buchhandelsgeschäft losfahren lassen, und so bleibt er für einige Tage als ihr Mentor und Lehrmeister an ihrer Seite. Und innerhalb kürzester Zeit entdeckt Helen nicht nur, dass Bücherverkaufen ein nicht ganz ungefährlicher Beruf ist, sondern auch, dass es mit dem rotgesichtigen, wieselflinken und mutigen Roger Mifflin zusammen doch viel mehr Spaß macht als alleine.
Aus jeder Zeile dieses schmalen Büchleins schimmert die Liebe des Autors zu seinen Figuren, zu den Büchern und zu seiner Heimat hervor, eingerahmt von einer profunden Kenntnis der Literatur und mehr als nur einer Prise Humor. EINE BUCHHANDLUNG AUF REISEN bietet genau das, wovon wir alle mehr oder weniger heimlich träumen: einen kurzweiligen und federleichten Ausstieg aus unserem Alltag.

Horst Illmer

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