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Moebius Zeichenwelt

von am 22. April 2024 Kommentare deaktiviert für Moebius Zeichenwelt

Andreas Platthaus
MOEBIUS ZEICHENWELT.
Mit mehr als 250 meist unveröffentlichten Bildern.
Berlin, Aufbau Verlag, Die Andere Bibliothek, 2023, 300 S.
ISBN 978-3-8477-2044-7 / 28,00 Euro

„Wer ist Moebius?“
Dieser schnell gestellten, jedoch nur schwer zu beantwortenden Frage, nimmt sich der FAZ-Redakteur Andreas Platthaus in einem umfangreichen biographischen Essay an. Er beginnt mit der für den französischen Künstler Jean Giraud alias Moebius so wichtigen Schlüsselszene in einer Kneipe in der mexikanischen Wüste, als der 17-jährige die Horizontlinie in der offenen Tür der Bar als „sein“ Stilelement erkannte. Der weitere Weg des Zeichners stand im Zeichen des Möbiusbandes und der Janusköpfigkeit.

Ersten Veröffentlichungen, die er als Moebius signierte, stellte sich plötzlich der für zehn lange Jahre (1963–1973) alles andere zurückdrängende Welterfolg BLUEBERRY in den Weg, den er unter seinem bürgerlichen Namen zeichnete. Erst in der Mitte der 70er Jahre begann sich „Moebius“ wieder zu regen. Er war der Revolutionär, der alle klassischen Zeichenstile über Bord warf und dem amerikanischen „Underground“-Comic eine europäische Variante an die Seite stellte. Gemeinsam mit Zeichnern wie Robert Crumb erneuerte Moebius das zur reinen Kinderunterhaltung degenerierte Medium Comic. Und seither lebten – ach – zwei Seelen in einer Brust.

Wie Giraud diesen Zwiespalt für sich in künstlerische Höchstleistungen umzusetzen vermochte, verdeutlichen auch die vielen, teils farbigen Bilder, die das Buch zieren. Das Herzstück ist „Fumetti“, ein bisher unveröffentlichter autobiographischer Comic von Moebius, in dem der müde gewordene Zeichner Giraud von einigen seiner Schöpfungen heimgesucht wird, die sich Sorgen um ihr Fortbestehen machen. Am Ende dieser einhundert Seiten steht dann aber ein optimistisches und für das Medium typisches „Fortsetzung folgt …“

Daran anschließend begutachtet Platthaus in einem fulminanten Rundumschlag das „Leben nach dem Tod des Comics“. Er beginnt bei den Wurzeln, den ersten Zeitungs-Bildergeschichten, die am Ende des 19. Jahrhunderts erschienen, springt über die Superhelden- und Micky-Maus-Comics der letzten hundert Jahre direkt ins postmoderne 3. Jahrtausend: Welche Möglichkeiten und Chancen hat der Comic noch?

Jean Henry Gaston Giraud, der seine Werke mit „Gir“ oder „Moebius“ unterzeichnete, lebte von 1938 bis 2012. Er zeichnete Western- und Science-Fiction-Comics von unerreichter Eleganz und Pracht. Er illustrierte eine Vielzahl von Büchern klassischer und moderner Autoren. Er prägte über Jahrzehnte das Erscheinungsbild der europäischen Comics. Ihn einmal ausführlich vorzustellen und zu würdigen war mehr als notwendig – Andreas Platthaus hat dies in MOEBIUS ZEICHENWELT mustergültig getan!

Horst Illmer

Andreas Platthaus
MOEBIUS ZEICHENWELT.
Mit mehr als 250 meist unveröffentlichten Bildern.
Berlin, Aufbau Verlag, Die Andere Bibliothek, 2023, 300 S.
ISBN 978-3-8477-2044-7 / 28,00 Euro

„Wer ist Moebius?“
Dieser schnell gestellten, jedoch nur schwer zu beantwortenden Frage, nimmt sich der FAZ-Redakteur Andreas Platthaus in einem umfangreichen biographischen Essay an. Er beginnt mit der für den französischen Künstler Jean Giraud alias Moebius so wichtigen Schlüsselszene in einer Kneipe in der mexikanischen Wüste, als der 17-jährige die Horizontlinie in der offenen Tür der Bar als „sein“ Stilelement erkannte.

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Biokrieg

von am 17. April 2024 Kommentare deaktiviert für Biokrieg

Paolo Bacigalupi
BIOKRIEG. Roman.
Übersetzung: Hannes Riffel und Dorothea Kallfass
(THE WINDUP GIRL / 2009)
München, Heyne, 2019, 608 S.
ISBN 978-3-453-32011-6 / 10,99 Euro
Meisterwerke der Science Fiction

Bangkok, Thailand – für Europäer seit Jahrhunderten der Inbegriff des Exotischen, Fremden. Daran hat sich auch in Bacigalupis Zukunftsversion wenig geändert: In einer völlig aus den Fugen geratenen Welt voller furchtbarer Hungersnöte, ausgelöst unter anderem durch gentechnisch veränderte und außer Kontrolle geratene Pflanzenschädlinge, in die Welt gesetzt von skrupellosen Konzernen, die damit ihre Gewinne maximieren wollten, und mit einem durch die Klimaveränderung deutlich gestiegenen Meeresspiegel und unvorhersehbaren Wetterkapriolen, versuchen seine Protagonisten, in dem undurchschaubaren Machtgefüge der Multimillionen-Stadt am Leben zu bleiben und zurecht zu kommen.

Am besten gelingt dies noch Anderson Lake, einem mit allen Wassern gewaschenen hochrangigen Mitarbeiter von AgriGen, einem der größten Nahrungsproduzenten der Welt. Allerdings dient die Spannfederfabrik, die AgriGen in Bangkok zu Forschungszwecken betreibt, nur Andersons Tarnung. In Wirklichkeit ist er einer der weltweit gefürchteten und gehassten „Kalorienjäger“ und bereit, für den Zugang zu den thailändischen Genlabors und ihren Samenbänken über Leichen zu gehen – wenn es sein muss, über sehr viele Leichen.

Seine Gegenspieler sind weniger die führenden Leute in der thailändischen Politik, sondern eine nationalistische Gruppe um den unbestechlichen Hauptmann Jaidee, die sogenannten Weißhemden, die versuchen, den Einfluss der Fremden, der „Farang“, zurückzudrängen. Jaidee weiß, dass er sich damit jede Menge Feinde einhandelt, doch der „Tiger“ setzt auf seine Popularität beim thailändischen Volk. Es ist schließlich ausgerechnet seine einzige Vertraute und Stellvertreterin Kanya, die auf der Gehaltsliste des Gegners steht und seinen Untergang herbeiführt.

Mit dem Exil-Chinesen Hock Seng, ehemals einer der reichsten Männer der Welt und nun als geduldeter „Yellow Card“-Hilfsarbeiter für Anderson tätig, und der zur Prostitution gezwungenen Emiko, einem japanischen „Aufziehmädchen“, hat Bacigalupi zwei weitere, bemerkenswerte Charaktere in die Handlung eingebaut. Während Hock Seng alles daran setzt, die Konstruktionspläne der Spannfedern aus der Fabrik zu entwenden und zu Geld zu machen, gelingt es Emiko, mehr durch Zufall, Andersons Interesse zu wecken und ihn für sich einzunehmen.

Überhaupt stellt Emiko das faszinierendste Element in BIOKRIEG, Bacigalupis mit Preisen überhäuftem Erstlingsroman, dar. Sie gehört zu den „Neuen Menschen“, im Labor gezüchteten und gentechnisch optimierten Wesen, die ihren Schöpfern in fast allen Belangen überlegen sind – und deshalb mit eingebauten Sperren und Konditionierungen (wie zum Beispiel Unfruchtbarkeit und dem Verlangen, einem Meister zu dienen) ausgeliefert werden. Wobei „ausgeliefert“ für Emiko in mehrfacher Hinsicht zutrifft. Sie wurde als „Ballast“ von ihrem japanischen Erstbesitzer in Bangkok zurückgelassen, wo sie von den Einheimischen verabscheut und gefürchtet wird. Deshalb bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich in einem Sexclub allabendlich auf der Bühne vorführen zu lassen. Dabei sind es vor allem ihre (einprogrammierten) ruckartigen Bewegungen, die das „Aufziehmädchen“ (THE WINDUP GIRL lautet der amerikanische Originaltitel) für die Gäste zur exotischen Attraktion machen.

In der schwül-warmen Hitze des zukünftigen Bangkoks brodelt eine explosive Mischung aus Korruption, Gen-Spionage, Rassismus, Nationalismus und dem unbedingten Streben aller nach möglichst viel Gewinn – immer noch sind alle gefangen im Glauben an die alleinseligmachende Macht des Geldes. Doch in einer Stadt, die, umgeben von Deichanlagen, inzwischen zum größten Teil weit unterhalb des Meeresspiegels liegt, genügt ein winziger Funke, um die Katastrophe herbeizuführen.

Die erzählerische Kraft und Unbekümmertheit Paolo Bacigalupis ist bemerkenswert. Mit BIOKRIEG hat er eine exakt recherchierte und (leider) äußerst glaubwürdige Schwarze Utopie vorgelegt, die voll ist, mit jenen winzigen literarischen Preziosen, die aus einem guten Buch ein sehr gutes Buch machen. Dazu gehören die allgegenwärtigen Cheshire-Katzen, gentechnisch aufgerüstete Vorläufer der Neuen Menschen, die wegen fehlender Beschränkungen innerhalb kürzester Zeit alle normalen Katzen verdrängten. Oder die Figur des Gen-Ingenieurs Gibbons, der sich, trotz erheblicher körperlicher und charakterlicher Mängel, für eine Art Gottvater hält – und dessen Genius für alle Konfliktparteien so wichtig ist, dass sie ihn in diesem Glauben auch noch bestärken.

BIOKRIEG ist ein sehr unterhaltsamer und zum Nachdenken anregender Zukunftsroman, der eine nur noch schwer vermeidbare Entwicklung stringent weiterverfolgt und mit Bangkok einen faszinierenden Schauplatz wählt, der für westliche Leser oft so fremdartig wirkt wie ein ferner Planet. Unbedingt empfehlenswert!

Horst Illmer

Paolo Bacigalupi
BIOKRIEG. Roman.
Übersetzung: Hannes Riffel und Dorothea Kallfass
(THE WINDUP GIRL / 2009)
München, Heyne, 2019, 608 S.
ISBN 978-3-453-32011-6 / 10,99 Euro
Meisterwerke der Science Fiction

Bangkok, Thailand – für Europäer seit Jahrhunderten der Inbegriff des Exotischen, Fremden. Daran hat sich auch in Bacigalupis Zukunftsversion wenig geändert: In einer völlig aus den Fugen geratenen Welt voller furchtbarer Hungersnöte, ausgelöst unter anderem durch gentechnisch veränderte und außer Kontrolle geratene Pflanzenschädlinge,

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Berge Meere und Giganten

von am 3. April 2024 Kommentare deaktiviert für Berge Meere und Giganten

Alfred Döblin
BERGE MEERE UND GIGANTEN.
Nachwort: Gabriele Sander
Frankfurt, Fischer Taschenbuch, 2013, 656 S.
ISBN 978-3-596-90464-8 / 14,99 Euro

Alfred Döblin (1878–1957) war Arzt und zugleich einer der wichtigsten Vertreter des deutschen Expressionismus, Verfasser von Romanen, Erzählungen, Essays, Theaterstücken und Reiseberichten sowie 1949 Mitbegründer der Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Bekannt ist er noch heute vor allem durch seinen Roman BERLIN ALEXANDERPLATZ.

Vor genau einhundert Jahren, 1924, erschienenen sein einziger Zukunftsroman BERGE MEERE UND GIGANTEN, in dem Döblin vom Fortgang der Menschheitsgeschichte vom 23. bis ins 27. Jahrhundert berichtet. Das (in neun Großkapitel unterteilte) Buch widmet sich dabei, neben einer Vielzahl weiterer Themen, vor allem dem Verhältnis von Mensch und seiner Umwelt – ein Genre, das inzwischen als „climate fiction“ weltweit Bedeutung und Anerkennung gefunden hat. Allerdings schreibt Döblin radikaler und anspruchsvoller (und „politisch unkorrekter“) als die meisten Gegenwartsautor*innen.

Im 23. Jahrhundert haben „Die westlichen Kontinente“ die nationalen und rassischen Grenzen überwunden. Die Staatengebilde der alten Zeit haben sich aufgelöst, Völker und Nationen sind vermischt. Es herrscht jedoch keine utopische Egalität; „Herrenmenschen“ regieren in Stadtschaften wie London, Brüssel, Berlin oder New York über die „Massenmenschen“. Mittels eines Wissens- und Waffenmonopols halten einige wenige Herrscherfamilien die Massen in Schach. Eine totale Technisierung, gepaart mit der Auflösung der Landwirtschaft, führt zu großen Kon­flikten. Die Menschen verstehen sich nicht mehr als Teil der Natur. Künstliche Ernährung, allgemeine Arbeitslosigkeit, Lange­weile und der trotzdem vorhandene materielle Überfluss führen zu Massenpsychosen, Gewaltorgien, Zerstörungswut und undifferenziertem Hass. Um das Volk wieder ruhig zu stellen, muss ein Krieg her.

„Der uralische Krieg“ im 25. Jahrhundert lässt riesige Heerscharen gen Osten, nach Asien, zie­hen. Ausgestattet mit veralteten Waffen und von ihren Führern zynisch zu „Kanonenfutter“ erklärt, sollen sich die überschüssigen Energien so entladen. Dummerweise wollen die Asiaten aber keine Invasoren im Land und schlagen mit einer unerwarteten Wucht und gigantischen Kriegswaffen zurück. Die völlige Vernichtung Osteuropas und vieler Millionen Menschen sind das Ergebnis des Kriegszuges. Politische Erdbeben folgen dieser Wahnsinnsaktion.

Das dritte Buch „Marduk“ beschäftigt sich mit den Konse­quenzen: Marduk, Konsul von Berlin, wird wichtigste Kraft im politischen Leben der Welt. Er entmachtet „die Täuscher“ und versucht eine Synthese zwischen Technik und Natur. Es entspannt sich eine Auseinandersetzung zwischen Befürwortern des synthetischen Lebens und den Apologeten der Rückbesinnung, zwischen dem Hedonismus einer kleinen Oberschicht und dem Bedürfnis der Vielen nach Glück in einem selbstverantwortlichen, durch eigene Produktivität gestalteten Leben. Aber indem Marduk seinen Weg zur „Rettung“ der Menschen vor der Vernichtung durch die Technik mittels brutalster Methoden durchzusetzen versucht, scheitert er. Zuletzt vernichten ihn die Heere der angrenzenden Stadtschaften, welche seinem Treiben nicht mehr länger zuschauen mögen.

Wie alles Böse immer auch Gutes bewirkt, so war Marduks Wollen nicht folgenlos. „Das Auslaufen der Städte“ nennt Döblin die Rebellion der „Siedler“. Während die Städter immer mehr körperlich und geistig verkümmern, breiten sich auf den riesigen, seit Jahrhunderten leeren Landflächen verschiedenste Natur- und Siedlergruppen aus. Sie kehren zurück zum Kreatürlichen. Diese Fluchtbewegung, für die Stadtschaften ein langsames Ausbluten der Eliten, führt fast zum Zusammenbruch des bisher Erreichten. Wieder wird ein Plan ersonnen, durch den die Herrscher die Menschen kontrollieren können. Delvil, Delegierter der Stadt London, schlägt die Enteisung Grönlands vor. Mit diesem Menschheitsprojekt soll gleichzeitig die Degeneration der Städter gestoppt und die Siedlerbewegung kanalisiert und kontrolliert werden.

Delvils Plan gelingt. „Island“ ist das erste Ziel auf dem Weg zu neuem Lebensraum. Erfasst von Pioniertaumel, versehen mit den neuesten technischen Errungenschaften folgen die Menschen dem Wissenschaftler Kylin ins Nordmeer. Islands Vulkane werden gesprengt, die gigantischen Naturkräfte werden in „Turmalin“-Netzen gespeichert. In dieser ersten Etappe scheint der Plan übermäßig zu gelingen. Niemals fühlte sich der Mensch der Natur näher als beim Eindringen ins Erdinnere. Die unermesslichen Licht- und Hitzefelder, die „abgeerntet“ werden, führen trotz vieler tausend Opfer zu rauschhaften Zuständen bei den Arbeitern.

Als nun „Die Enteisung Grönlands“ beginnt, zeigen sich die ersten unerwarteten Nebenwirkungen. Die mit den Turmalinnetzen beladenen Schiffe werden zu Inseln wuchernder Fruchtbarkeit im eiskalten Norden. Im Packeis kreuzend und langsam auf Grönland zusteuernd wachsen richtige Tang-Wälder, in denen sich Vögel und anderes Getier niederlassen, auf den eisernen Schiffen. Ständig von Walen und Fischschwärmen umgeben erleben auch die Besatzungen einen Gemütszustand, der zu zügellosen sexuellen Ausschweifungen führt. Die Führer der Expedition, zusammengeschweißt von den gemeinsam überstandenen Gefahren, getrennt von den ideologischen und politischen Wurzeln der Städte, nähern sich in ihrer Einstellung den Siedlern immer mehr an. Doch gerade diese Weltsicht erlebt mit dem Beginn der Enteisungsaktion einen unerwarteten Rückschlag. Die Natur selbst wehrt sich. Vögel sterben, Wirbelstürme brechen über die Flotte herein, Angst und Entsetzen ergreift die Gemüter der Menschen, so dass sie in Panik fliehen. Erst viele Jahre später trauen sich einzelne Späher wieder an Grönland heran. Was sie sehen, ist unglaublich: Reptilien, Flugechsen ungeheure Drachenwesen haben ihren Jahrmillionenschlaf beendet und sind wieder lebendig. Und sie brauchen Raum! Eine Welle von hungrigen Kreaturen kommt auf Europa zu.

Unterdessen entdeckt man, dass die Turmalinschleier, welche für diese Entwicklung verantwortlich sind, noch weitere Kräfte enthalten. Alle Materie kann durch das Turmalin verbunden und verwandelt werden. Sofort werden Freiwillige, die sich opfern und bereit sind, mit Steinen und Tieren eine Synthese eingehen, als lebendiger Schutzwall gegen die Ungeheuer eingesetzt. Gleichzeitig beginnt der Rückzug der verunsicherten Menschheit unter die Erde. Die Städte und ihre Bewohner ziehen sich in die Tiefe zurück. Sie sind, bei völligem Erhalt ihres gewohnten Luxuslebens, nun nur noch Höhlenmenschen.

Ihre machtgierigen Führer verwandeln sich mittels Turmalin in „Giganten“. Diese riesigen Turmwesen verlieren ihre Menschlichkeit und halten sich immer mehr für Götter. Sie tummeln sich an der Oberfläche, veranstalten sinnlose Wettkämpfe und verfallen trotz ihrer Allmacht immer mehr ins Primitive. In einer „Götterdämmerung“ vernichten sie sich letztendlich selbst.

Übrig bleiben nur die Siedler, welche, geleitet von „Venaska“, ein auf die Natur ausgerichtetes Leben beginnen. Venaska ist eine Bekannte Kylins und trägt viele Züge der Göttin Venus in sich. Ihr Hauptwesenszug ist eine absolute Bejahung des Lebens und die Bereitschaft Liebe zu geben. Angesiedelt in den gemäßigten Zonen Südfrankreichs beginnen die Menschen ein neues Leben. Schließlich gesellen sich auch die Überlebenden der Grönlandexpedition zu ihnen. Geläutert durch die Ereignisse wagen sie einen Neubeginn.

Döblins Roman nimmt unter den literarischen Zukunftsvorstellungen einen herausragenden Platz ein. Wie kein zweiter Autor beherrscht er den lyrisch-expressiven Stil. Nie wurde der Gegensatz „Mensch – Natur“ intensiver untersucht, kaum jemals wurde der erzählerische Bogen vom Schicksal des Einzelnen bis zu einem den ganzen Planeten betreffenden Ereignis weiter gespannt. Während der Erzählung bleibt über lange Zeit unklar, auf welcher Seite die Sympathie des Autors liegt. Erst in der schlussendlichen Aussöhnung mit der Natur bekennt sich Döblin zur utopischen Tradition.

Horst Illmer

Alfred Döblin
BERGE MEERE UND GIGANTEN.
Nachwort: Gabriele Sander
Frankfurt, Fischer Taschenbuch, 2013, 656 S.
ISBN 978-3-596-90464-8 / 14,99 Euro

Alfred Döblin (1878–1957) war Arzt und zugleich einer der wichtigsten Vertreter des deutschen Expressionismus, Verfasser von Romanen, Erzählungen, Essays, Theaterstücken und Reiseberichten sowie 1949 Mitbegründer der Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Bekannt ist er noch heute vor allem durch seinen Roman BERLIN ALEXANDERPLATZ.

Vor genau einhundert Jahren, 1924, erschienenen sein einziger Zukunftsroman BERGE MEERE UND GIGANTEN,

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Der Ozean am Ende der Straße

von am 25. März 2024 Kommentare deaktiviert für Der Ozean am Ende der Straße

Neil Gaiman
DER OZEAN AM ENDE DER STRASSE. Roman.
Übersetzung: Hannes Riffel, Illustrationen: Elise Hurst
(THE OCEAN AT THE END OF THE LANE / 2013)
Köln, Eichborn, 2021, 336 S.
ISBN 978-3-8479-0071-9 / 25,00 Euro

Es ist Sonntagnachmittag und draußen regnet es seit Stunden und es ist so dunkel, dass man drinnen fast Licht machen müsste, um zu lesen – aber es geht auch, wenn man sich ganz nah ans Fenster setzt –, und ich bin glücklich und zufrieden und wenn ich eine Katze wäre, würde ich jetzt schnurren, so gut fühlt es sich an, nach den letzten Seiten von Neil Gaimans Roman DER OZEAN AM ENDE DER STRASSE das Buch zu schließen und vorsichtig wegzulegen.

In den letzten 48 Stunden war ich mit einigen ganz ungewöhnlichen Charakteren zusammen auf einer Farm in England und habe gespannt den Erinnerungen des Ich-Erzählers gelauscht, eines Mannes „im besten Alter“, der hier vor vielen Jahren als Siebenjähriger seine Ferien verbrachte und dabei die elfjährige Lettie Hempstock kennen lernte – die schon sehr lange Zeit elf Jahre alt war – und mit ihr gemeinsam ein Abenteuer erleben durfte, das sein weiteres Leben mehr prägte, als er glaubt und das er sich erst langsam wieder zusammenreimen muss, dort am Ufer eines Ententeiches sitzend, von dem Lettie behauptete, es sei ein Ozean.

DER OZEAN AM ENDE DER STRASSE gehört zu jener Sorte von Büchern, die man in jedem Alter lesen kann – und vermutlich auch unabhängig vom Geschlecht – und die man gut auch an fast jeden Menschen verschenken kann, von dem man weiß, dass sie oder er Bücher liest. Allerdings sollte man niemals fragen, wie es gefallen hat. Denn, wie sagt Großmutter Hempstock so schön: „Verschiedene Leute erinnern sich an verschiedene Dinge und es gibt keine zwei Menschen, deren Erinnerung an etwas übereinstimmt, ob sie nun dabei waren oder nicht.“

Neil Gaiman ist als Autor so wenig zu greifen wie Stephen King. Beide haben als Genre-Autoren angefangen, sind inzwischen jedoch als Schriftsteller so weit gereift, dass ihnen keine Schublade mehr passt. Die Schatten, die sie mit ihren Büchern nunmehr zu werfen in der Lage sind, fallen hin und wieder sogar auf die Schreibtische der etablierten Literaturkritik, weshalb alle heiligen Zeiten auch im Feuilleton eine verwundert-begeisterte Besprechung erscheint, deren Tenor das immer gleiche „Ach, dass der so etwas Gutes zu schreiben vermag, hätte ich nicht gedacht!“ ist. Worüber wir Leserinnen und Leser der ersten Stunde, wir Fans von SANDMAN und NIEMALSLAND, von AMERICAN GODS und GRAVEYARD BOOK, die wir die wundervolle, mitreißende, begeisternde Prosa Neil Gaimans kennen, immer wieder nur amüsiert den Kopf zu schütteln vermögen.

Es ist immer noch das gleiche verregnete Wochenende, an dem ich DER OZEAN AM ENDE DER STRASSE von vorne bis hinten durchgelesen habe und dann im Anschluss diesen Text in die Tasten klopfte – aber der Himmel klart langsam auf, die Sonne kämpft sich durch die Regenwolken, dabei kräftig vom Wind unterstützt, die nassen Straßen beginnen zu trocknen und bevor ich mir jetzt einen Tee bereite, mit „Milch und Zucker, wie es sich gehört“ und so „heiß und wunderbar stark, da würde ein Löffel drin stecken bleiben“, werde ich noch einen Spaziergang unternehmen. Nur um sicher zu gehen, dass der Ententeich auf der anderen Seite meines Dorfes noch so ruhig und friedlich daliegt, wie ich ihn in Erinnerung habe.

Horst Illmer

Neil Gaiman
DER OZEAN AM ENDE DER STRASSE. Roman.
Übersetzung: Hannes Riffel, Illustrationen: Elise Hurst
(THE OCEAN AT THE END OF THE LANE / 2013)
Köln, Eichborn, 2021, 336 S.
ISBN 978-3-8479-0071-9 / 25,00 Euro

Es ist Sonntagnachmittag und draußen regnet es seit Stunden und es ist so dunkel, dass man drinnen fast Licht machen müsste, um zu lesen – aber es geht auch, wenn man sich ganz nah ans Fenster setzt –,

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Erdling

von am 28. Februar 2024 Kommentare deaktiviert für Erdling

Emma Braslavsky
ERDLING. Roman.
Berlin, Suhrkamp, 2023, 425 Seiten
ISBN 978-3-518-43101-6
Hardcover / 26,00 Euro

Nur weil ich das Buch zu spät in die Hände bekommen und jetzt erst gelesen habe, ist die 1971 in Erfurt geborene, inzwischen in Berlin lebende, Emma Braslavsky mit ihrem im Dezember 23 veröffentlichten Roman, der den hübschen, sofort an Science Fiction erinnernden Titel ERDLING trägt, an einer Empfehlung im „Adventskalender“ der Romanboutique vorbeigeschrammt.

Braslavsky, die nicht nur Vorlagen für OSCAR-nominierte Filme schreibt und mehrere Literaturpreise gewonnen hat, ist spätestens seit ihrem im letztenJahr mit einem Kurd Laßwitz Preis ausgezeichneten SF-Hörspiel DIE NACHT WAR BLEICH, DIE LICHTER BLINKTEN nicht mehr aus der deutschen Phantastik wegzudenken.

Wie sehr sie allerdings in dieses Genre „eingetaucht“ ist, wird erst bei der Lektüre von ERDLING so richtig klar. Nicht nur der Plot um eine von Aliens entführte Sahra Wagenknecht ist so außergewöhnlich und originell wie selten in der deutschen Science Fiction der letzten Jahrzehnte, auch der frech-direkte Stil ist ein Alleinstellungsmerkmal, und die Auswahl der Protagonist*innen und Schauplätze deuten auf ein vertieftes Studium der Geschichte des deutschsprachigen Zukunftsromans hin. So besucht die mit dem Auffinden der Entführten beauftrage Detektiv*in Emma Erdling, unterstützt unter anderem von Hanns Heinz Ewers (!), die von Johannes Kepler ersonnenen Mondbewohner ebenso wie die marsianischen Numen von Kurd Laßwitz, springt in der Zeit umher wie ein Flaschenteufelchen und diskutiert alternative Weltlinien mit Voltaire und Thomas Mann.

Diese Reise durch multiple Literatur-Universen gleicht einer ebenso wilden wie vergnüglichen Fahrt in einer Galaxien umspannenden Achterbahn. Da lässt sich auf „Thank you for traveling with me!“, Braslavskys letzten Satz im Buch, nur mit einem „Danke, dass wir dabei sein durften“ antworten.

Horst Illmer

Emma Braslavsky
ERDLING. Roman.
Berlin, Suhrkamp, 2023, 425 Seiten
ISBN 978-3-518-43101-6
Hardcover / 26,00 Euro

Nur weil ich das Buch zu spät in die Hände bekommen und jetzt erst gelesen habe, ist die 1971 in Erfurt geborene, inzwischen in Berlin lebende, Emma Braslavsky mit ihrem im Dezember 23 veröffentlichten Roman, der den hübschen, sofort an Science Fiction erinnernden Titel ERDLING trägt, an einer Empfehlung im „Adventskalender“ der Romanboutique vorbeigeschrammt.

Braslavsky, die nicht nur Vorlagen für OSCAR-nominierte Filme schreibt und mehrere Literaturpreise gewonnen hat,

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Superbrain Comics mal zwei

von am 26. Februar 2024 Kommentare deaktiviert für Superbrain Comics mal zwei

Casey Zakroff & Pat Lewis
SUPERBRAIN-COMICS: DIE GEHEIMNISSE DER WALE.
Ü: Anna Taube, Vorwort: Asha de Vos
(WHALES / 2021)
Bindlach, Loewe, 2024, 128 S.
ISBN 978-3-7432-1800-0
Hardcover / 15,00 Euro

MK Reed & Joe Flood
SUPERBRAIN-COMICS: AUF DEN SPUREN DER DINOSAURIER.
Ü: Anna Taube, Vorwort: Leonard Finkelman
(DINOSAURS / 2016)
Bindlach, Loewe, 2024, 128 S.
ISBN 978-3-7432-1801-7
Hardcover / 15,00 Euro

Das Geschäft mit den Comics brummt. Mangas, Superhelden, Funnies, Erwachsenen-Comics und Kinder-Comics; die Comic-Verlage haben den Markt im Griff und unter sich aufgeteilt. Doch ein Segment scheint noch Nachholbedarf und Platz für einen Neuling zu haben: der Sachbuch-Comic. So in etwa dürften die Verantwortlichen beim Loewe Verlag während ihrer „Was-können-wir-noch-machen-um-weiter-zu-wachsen?“-Sitzungen argumentiert haben. Das Ergebnis liegt jetzt auf dem Tisch – die Comic-Sachbuch-Reihe SUPERBRAIN-COMICS!

Im Februar erschienen die ersten beiden Bücher, die sich mit biologischen Themen befassen. Zum einen mit den jugendliche Leser*innen immer wieder begeisternden Dinosauriern, zum anderen mit den größten noch lebenden Säugetieren, den Walen.

In DIE GEHEIMNISSE DER WALE erzählen Casey Zakroff und Pat Lewis aus der Sicht von Flitz, eines jungen Schnabelwals, über das vielfältige und spannende Leben der Tiere unterhalb des Meeresspiegels – und davon, wie Flitz versucht, mehr über jene geheimnisvollen fremden Wesen namens »Menschen« zu erfahren, die ab und zu an der Oberfläche auftauchen und seltsame Dinge tun …

Das Kreativ-Team MK Reed und Joe Flood wählt für den immerhin für einen Eisner Award nominierten Band AUF DEN SPUREN DER DINOSAURIER einen anderen Ansatz. Sie erzählen die Geschichte als Zeitreise durch die verschiedenen „Das-wissen-wir-sicher!“-Stufen der Wissenschaft. Als um 1800 n. Chr. die ersten Saurier-Versteinerungen ausgegraben werden, glaubt man noch, dass die Welt kaum älter ist als die mit der Bibel „nachweisbaren“ 6000 Jahre. In den folgenden 200 Jahren wächst nicht nur unser Universum und dessen Alter, sondern auch das Wissen um die Dinosaurier. Wenn dieser Comic eines zeigt, dann, dass jedes „sicher“ geglaubte Wissen um den Zustand der Welt nur relativ ist – denn die nächste Ausgrabung, die nächste Entdeckung kann schon wieder alles über den Haufen werfen.

Ausgestattet sind die SUPERBRAIN-COMICS jeweils mit Vorworten von Fachleuten aus den Spezialgebieten die sie behandeln. Zusätzlich gibt es am Ende ein Glossar mit Worterklärungen und weiterführenden Informationen. Mir haben die beiden Bücher viel Vergnügen bereitet und ich werde sie jetzt einfach an meine Enkelinnen weiterreichen – mit dem guten Gefühl, dass sie auch dort willkommen sein werden.

Horst Illmer

Casey Zakroff & Pat Lewis
SUPERBRAIN-COMICS: DIE GEHEIMNISSE DER WALE.
Ü: Anna Taube, Vorwort: Asha de Vos
(WHALES / 2021)
Bindlach, Loewe, 2024, 128 S.
ISBN 978-3-7432-1800-0
Hardcover / 15,00 Euro

MK Reed & Joe Flood
SUPERBRAIN-COMICS: AUF DEN SPUREN DER DINOSAURIER.
Ü: Anna Taube, Vorwort: Leonard Finkelman
(DINOSAURS / 2016)
Bindlach, Loewe, 2024, 128 S.
ISBN 978-3-7432-1801-7
Hardcover / 15,00 Euro

Das Geschäft mit den Comics brummt.

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Ein Fluss so rot und schwarz

von am 14. Februar 2024 Kommentare deaktiviert für Ein Fluss so rot und schwarz

Anthony Ryan
EIN FLUSS SO ROT UND SCHWARZ. Roman.
Ü: Sara Riffel
(Red River Seven / 2023)
Stuttgart, Tropen, 2023, 269 S.
ISBN 978-3-608-50179-7 / 22,00 Euro

Anthony Ryan ist ein schottischer Schriftsteller, der seit einigen Jahren mit epischen Fantasy-Romanen (Die RABENSCHATTEN-Trilogie, DRACONIS MEMORIA, DER STÄHLERNE BUND) große Erfolge feiert. Im Herbst 2023 erschien jedoch im Tropen Verlag der Roman EIN FLUSS SO ROT UND SCHWARZ, der ganz offensichtlich keine Fantasy war, sondern wohl eher als Nach-Katastrophen-Thriller bezeichnet werden kann. (Außerdem hat das Buch nur 270 Seiten und keine Fortsetzung!)

Vermutlich wollte Ryan einfach einmal in andere Gefilde eintauchen und das ist ihm, so viel darf schon hier verraten werden, auf erstaunlich eindringliche Weise gelungen. Die Geschichte beginnt damit, dass jemand Selbstmord begeht und mit dem Knall seiner Pistole einen Mann weckt, der zuerst einmal feststellt, dass er weder weiß, wo er sich befindet, noch warum er da ist, und auch keine Ahnung hat, wie er heißt. Allerdings verrät ihm ein kurzer Rundblick und das Schwanken des Bodens, dass er sich auf einem Schiff befindet. Als er den Toten untersucht, stellt er fest, dass dieser die Tätowierung „Conrad“ auf dem Unterarm trägt. Bei ihm selbst steht da „Huxley“ – na, und als dann noch „Plath“, „Rhys“, „Pynchon“, „Golding“ und „Dickinson“ auftauchen, ist die Truppe vollständig. Dass sie alle nicht wissen wo und wer sie sind, deutet darauf hin, dass ihr Zusammentreffen nicht zufällig ist. Zudem fährt das Schiff, offenbar ferngesteuert, übers offene Meer. Sie finden an Bord jede Menge Waffen, Nahrung – und viele verschlossene Türen. Dann klingelt ein Satellitentelefon und eine synthetische Stimme gibt ihnen erste Anweisungen.

Offenbar müssen sie die Themse hinauf nach London fahren und dort eine bestimmte Aufgabe erfüllen. Dabei erwarten sie diverse Hindernisse und Gefahren, über deren Beschaffenheit sie von der Telefonstimme jedoch nur spärliche Informationen erhalten. Aber es wird schnell klar, dass der Sprengstoff und die vielen Waffen nicht zufällig an Bord sind …

Bei dieser Art von literarischem Versteckspiel ist es für den Rezensenten immer schwer, die Balance zu finden zwischen dem, was auf gar keinen Fall verraten werden darf und den Informationen, mit denen Leserinnen und Leser neugierig gemacht werden. Also stelle ich mal folgende Behauptungen auf: EIN FLUSS SO ROT UND SCHWARZ ist ein überaus flottes, hervorragend konzipiertes Stück Abenteuerliteratur, angereichert mit einer sehr plastisch beschriebenen, unterhaltsamen und überraschenden Handlung und sechs (oder eigentlich sieben) klug charakterisierten Protagonist*innen.

Der Roman kommt nach 270 Seiten atemloser Spannung zu einem überraschenden, jedoch zufriedenstellenden Ende – und es sollte niemanden wundern, wenn es in naher Zukunft dazu einen Kinofilm oder eine Mini-Serie gibt.

Horst Illmer

Anthony Ryan
EIN FLUSS SO ROT UND SCHWARZ. Roman.
Ü: Sara Riffel
(Red River Seven / 2023)
Stuttgart, Tropen, 2023, 269 S.
ISBN 978-3-608-50179-7 / 22,00 Euro

Anthony Ryan ist ein schottischer Schriftsteller, der seit einigen Jahren mit epischen Fantasy-Romanen (Die RABENSCHATTEN-Trilogie, DRACONIS MEMORIA, DER STÄHLERNE BUND) große Erfolge feiert. Im Herbst 2023 erschien jedoch im Tropen Verlag der Roman EIN FLUSS SO ROT UND SCHWARZ, der ganz offensichtlich keine Fantasy war, sondern wohl eher als Nach-Katastrophen-Thriller bezeichnet werden kann.

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Dex & Helmling

von am 24. Januar 2024 Kommentare deaktiviert für Dex & Helmling

Becky Chambers
EIN PSALM FÜR DIE WILD SCHWEIFENDEN.
Dex & Helmling 1
Ü: Karin Will
(A Psalm for the Wild-Build / 2021)
Wittenberge, Carcosa, 2024, 188 S.
ISBN 978-3-910914-10-0 / 18,00 Euro

 

EIN GEBET FÜR DIE ACHTSAM SCHREITENDEN.
Dex & Helmling 2
Ü: Karin Will
(A Prayer for the Crown-Shy / 2022)
Wittenberge, Carcosa, 2024, 182 S.
ISBN 978-3-910914-12-4 / 18,00 Euro

Dem erfolgreichen ersten Programm des Carcosa Verlags (siehe dazu meine diversen Besprechungen in den letzten Monaten) folgten im Januar 2024 gleich zwei neue Bücher von Becky Chambers, die sowohl die Programmintentionen (topaktuelle Titel anstelle der großen Klassiker) als auch die Optik (Hardcover im Taschenbuchformat, farbig illustrierte Einbände) von Carcosa deutlich bereicherten.

Mit EIN PSALM FÜR DIE WILD SCHWEIFENDEN und EIN GEBET FÜR DIE ACHTSAM SCHREITENDEN liegen hier zwei in den USA äußerst erfolgreiche Novellen (die sich zu einem „Doppelroman“ ergänzen) der auch bei uns sehr erfolgreichen Autorin vor, in denen auf augenzwinkernd-humorvolle Weise die Utopie einer ökologisch und sozial erfolgreichen Mensch-Roboter-Natur-Beziehung beschrieben wird.

Die Story spielt auf einem bewohnten Mond, dessen Bewohner vor langer Zeit von ihren mit Selbstbewusstsein ausgestatteten Robotern verlassen wurden und seither ihre Zivilisation zu einem gewissen Einklang mit ihrer Umwelt entwickelt haben. Auf einer Selbstfindungsreise in die Wildnis trifft Teemönch Dex überraschend auf Helmling, einen Roboter, der sich als Begleiter anbietet …

Die Übersetzung von Karin Will nimmt dabei gekonnt die genderspezifisch-sprachlichen Besonderheiten von Chambers’ Original auf und transformiert die Erzählung in ein schlüssiges (und flüssiges) Deutsch, das bereits nach wenigen Seiten zum Genuss des Textes beiträgt. Wie immer bei Becky Chambers bewirkt bereits der erste Satz einen Sog, der ihre Leser*innen erst nach der letzten der zusammen fast 400 Seiten wieder loslässt.

Deshalb meine Empfehlung: gleich beide Bändchen besorgen und die dafür nötige Zeit einplanen!

Horst Illmer

Becky Chambers
EIN PSALM FÜR DIE WILD SCHWEIFENDEN.
Dex & Helmling 1
Ü: Karin Will
(A Psalm for the Wild-Build / 2021)
Wittenberge, Carcosa, 2024, 188 S.
ISBN 978-3-910914-10-0 / 18,00 Euro

 

EIN GEBET FÜR DIE ACHTSAM SCHREITENDEN.
Dex & Helmling 2
Ü: Karin Will
(A Prayer for the Crown-Shy / 2022)
Wittenberge, Carcosa, 2024, 182 S.
ISBN 978-3-910914-12-4 / 18,00 Euro

Dem erfolgreichen ersten Programm des Carcosa Verlags (siehe dazu meine diversen Besprechungen in den letzten Monaten) folgten im Januar 2024 gleich zwei neue Bücher von Becky Chambers,

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Handbuch der Planeten

von am 8. Januar 2024 1 Kommentar

Gunther Barnewald
HANDBUCH DER PLANETEN.
Reiseführer durch die Welten von Jack Vance.
Vorwort: Denis Scheck
Erkrath, Fanpro, 2023, 271 S.
ISBN 978-3-946502-03-6 / 49,80 Euro
Hardcover

Mein guter Freund Zufall stieß mich kürzlich bei Korrektur-Lese-Arbeiten auf ein bereits im Sommer 2023 erschienenes Sachbuch, das – wohl vor allem wegen seines Titels – sicher auch vielen sonst daran Interessierten bisher entgangen sein dürfte: Es handelt sich dabei um das HANDBUCH DER PLANETEN von Gunther Barnewald. Erst der Untertitel „Reiseführer durch die Welten von Jack Vance“ weist den Blick in die richtige Richtung. Es handelt sich nicht etwa um ein Hilfsmittel zur Astronomie unseres Sonnensystems, sondern um ein 270 Seiten starkes Kompendium zu Leben und Werk des US-amerikanischen Science-Fiction- und Fantasy-Großmeisters Jack Vance – im Format DIN A4 und mit einem Vorwort von Denis Scheck! Aufgeteilt in 16 reich bebilderte Kapitel betrachtet Barnewald jede Story und jeden Roman von Vance, inklusive pseudonymer Werke, gibt einen biografischen Abriss und versucht in mehreren Essays eine literaturgeschichtliche Einordnung. Ergänzend angefügt ist ein umfangreiches Interview mit dem Autor, und in der Abteilung „Anhänge“ finden wir Zeittafeln, Bibliografien, Personen- und Titelregister.

Mit diesem Buch haben deutschsprachige Jack Vance-Fans und -Forscher endlich ein Standardwerk zur Verfügung, das keine Wünsche mehr offen lässt.

Horst Illmer

Gunther Barnewald
HANDBUCH DER PLANETEN.
Reiseführer durch die Welten von Jack Vance.
Vorwort: Denis Scheck
Erkrath, Fanpro, 2023, 271 S.
ISBN 978-3-946502-03-6 / 49,80 Euro
Hardcover

Mein guter Freund Zufall stieß mich kürzlich bei Korrektur-Lese-Arbeiten auf ein bereits im Sommer 2023 erschienenes Sachbuch, das – wohl vor allem wegen seines Titels – sicher auch vielen sonst daran Interessierten bisher entgangen sein dürfte: Es handelt sich dabei um das HANDBUCH DER PLANETEN von Gunther Barnewald.

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Adventskalender 2023 T-04: Das Science Fiction Jahr

von am 20. Dezember 2023 Kommentare deaktiviert für Adventskalender 2023 T-04: Das Science Fiction Jahr

Melanie Wylutzki & Hardy Kettlitz
DAS SCIENCE FICTION JAHR 2023.
Berlin, Hirnkost, 2023, 620 S.
ISBN 978-3-98857-033-8, 32,00 Euro
Klappenbroschur

Na also: Immer noch deutlich vor dem Jahresende und in der inzwischen gewohnten massiven Klappenbroschur mit den astronomischen Aufnahmen auf Vorderdeckel und Rücken liegt DAS SCIENCE FICTION JAHR 2023 vor mir. Auch diese inzwischen 38. Ausgabe des nach wie vor unverzichtbaren Almanachs wurde von Melanie Wylutzki und Hardy Kettlitz zusammengestellt und wie immer kann es sich sehen lassen, was die 38 Beitragenden im letzten Jahr so alles gelesen, gesehen, geschrieben, gehört, gespielt und gesammelt haben.

Natürlich gibt es wie immer die großen Abteilungen mit Übersichten und Kritiken über die neu erschienen und produzierten Bücher, Filme, Hörspiele, TV-Serien, Comics und Spiele, dann die Statistik-Ecke mit den Nachrufen, den weltweit verliehenen Preisen und der Bibliografie der in deutscher Sprache veröffentlichten Science-Fiction-Bücher.

Speziell in diesem Jahr ist das „Feature“ mit einem Dutzend Artikeln zu „Alternativer Geschichtsschreibung“ und „Pazifismus“; und aus gegebenem Anlass hat Hans Esselborn einen Schwerpunkt zum Tod von Herbert W. Franke erstellt. Mir ganz besonders gefallen hat diesmal der Essay „Die Schönheit des Unterschieds. Ursula K. Le Guin und die Ethnologie“ von Guido Sprenger, der damit knapp vor den Artikeln über Philip K. Dick bzw. Eric Frank Russell, bzw. H. G. Wells lag.

Und da ich den Rest erst im Lauf der nächsten Monate lesen werde, kann sich da auch noch was verschieben …

Horst Illmer

Melanie Wylutzki & Hardy Kettlitz
DAS SCIENCE FICTION JAHR 2023.
Berlin, Hirnkost, 2023, 620 S.
ISBN 978-3-98857-033-8, 32,00 Euro
Klappenbroschur

Na also: Immer noch deutlich vor dem Jahresende und in der inzwischen gewohnten massiven Klappenbroschur mit den astronomischen Aufnahmen auf Vorderdeckel und Rücken liegt DAS SCIENCE FICTION JAHR 2023 vor mir. Auch diese inzwischen 38. Ausgabe des nach wie vor unverzichtbaren Almanachs wurde von Melanie Wylutzki und Hardy Kettlitz zusammengestellt und wie immer kann es sich sehen lassen,

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Adventskalender 2023 T-21: Neurobiest von Aiki Mira (by Horst)

von am 3. Dezember 2023 Kommentare deaktiviert für Adventskalender 2023 T-21: Neurobiest von Aiki Mira (by Horst)

GerdWie schon den gestrigen Beitrag möchte ich euch auch diesen nicht nicht vorenthalten. An dieser Stelle ziehe ich auch gleich vorauseilend meinen Hut vor Horst. Die heutige Doppelung meines Beitrags vom 18. Oktober ist wieder einmal sensationell. Als Titel sowieso, aber auch als Rezension.

Der Roman hat es mehr als verdient auch an dieser Stelle im Adventskalender erneut aufzutauchen. Dass Horsts Rezi dabei eine ganz eigene Qualität in sich birgt, erhöht den Wert noch zusätzlich. Im Grunde ist es einfach auf den Punkt zu bringen. Wir schwärmen beide, wenn auch in unterschiedlichen Worten. Lest heute die Adventsschwärmerei von Horst:

Aiki Mira
NEUROBIEST.
Bremen, Eridanus, 2023, 335 S.
ISBN 9783-3946348-39-9
Kartoniert / 16,00 Euro

Der von Charles Darwin ins Menschheitsbewußtsein eingeprägte Begriff der Evolution erweist sich als immer noch nicht ausgeschöpfte Quelle vielgestaltiger Möglichkeiten der Naturerkenntnis und greift inzwischen über das Materielle hinaus auch ins Imaginäre.

Mit welch anderem Beiwort sonst wäre Aiki Miras scheinbar unerschöpflich fließendes Schreiben zu erklären, in dem die Geschichten so unterschiedlich sind wie nur möglich sind und die Bücher wie Zellbausteine aufeinander aufbauen, dabei einander variiren, und sich stetig weiter entwickeln.

Nachzulesen und zu überprüfen ist diese These jetzt in NEUROBIEST, Miras im Herbst 2023 erschienenen Science-Fiction-Roman. Von Aiki Mira selbst als „Biopunk“ bezeichnet, nimmt die Geschichte Fäden und Anspielungen, Begriffe und Stimmungen aus dem schon sehr überzeugend geschriebenen Vorläuferbuch NEONGRAU auf und springt vom halb versunkenen, verdüsterten Hamburg in ein wild wucherndes und strahlendes Berlin.

Dieses zukünftige Aiki-Mira-Berlin hat sich offenbar zu einer Hauptstadt der Biologieforschung und der Erzeugung biosynthetischen Lebens entwickelt – und das nicht nur auf rechtlich unangreifbare Weise, sondern offensichtlich auch mittels mehr oder weniger illegaler Menschenversuche. Einmal in der Welt, sucht und findet auch dieses Leben seinen Weg.

Die in zwei Erzählstränge aufgeteilte Geschichte von Aruke und Riva, von Prima und Tanun, von Crispin, Kenoah, Olivia, Cem und einem halben Dutzend weiterer bemerkenswert liebenswürdiger und lebendiger Protagonisten spielt abwechselnd im Berlin des Jahres 2100 und in einem Biolabor im Amazonasgebiet zehn Jahre früher. Die Geschehnisse und ihre Folgen beschreibt Mira in einer Stil-Mischung aus absolut gegenwärtiger Sprache und einem tiefen Verständnis für klassische Science-Fiction-Elemente. Denn auch wenn in NEUROBIEST alles topaktuell auf dem Stand derzeitiger Spitzenforschung ist, so klingen als Hintergrundmelodien immer wieder Variationen an, die auf A. E. van Vogts Mutanten-Epos SLAN aus dem Jahr 1940 hinweisen oder an Theodore Sturgeons Gestalt-Zyklus MORE THAN HUMAN von 1953 erinnern (und natürlich wurden auch Michael Crichtons Werke KONGO und JURRASIC PARK nicht vergessen).

Wenn wir dann aber Sätze lesen dürfen wie diese,

Als sie auf dem Dach ankommen, werden sie bereits erwartet. Mehrere Personen stehen vor dem HQ. Crispin lässt einen Schrei los. „Ich wusste es! Da sind sie! Mein Leben ist vorbei! Kill! Over!“
Alle mustern die Fremden. Drei weiblich gelesene Personen im mittleren Alter.
„Wer ist das?“, will Aruke wissen, „Crispin hast du die Stromrechnung nicht bezahlt?“
Crispins Kinn zittert. „Das sind meine Mütter.“
Was they nicht sagt: Sie haben mich gefunden, weil ich vom Familienvermögen deine neue ID gekauft habe.
„Schön sie mal kennenzulernen“, erwidert Aruke und lächelt.
Crispin seufzt. Arukes Lächeln macht alles immer gleich irgendwie besser.
(S. 323)

dann wissen wir, dass so in Deutschland derzeit nur Aiki Mira schreiben kann! Die Wärme und Zuneigung, die hier sichtbar wird, berührt unser aller Herzen.

Es war kein Zufall, dass Aiki Miras Werke in den vergangenen zwei Jahren praktisch alle nur möglichen Genre-Preise abräumten, egal ob für Kurzgeschichten oder Romane, und es ist nach der Lektüre von NEUROBIEST auch klar, dass dies der heißeste Anwärter für die nächste Preis-Saison ist.

Horst Illmer

Wie schon den gestrigen Beitrag möchte ich euch auch diesen nicht nicht vorenthalten. An dieser Stelle ziehe ich auch gleich vorauseilend meinen Hut vor Horst. Die heutige Doppelung meines Beitrags vom 18. Oktober ist wieder einmal sensationell. Als Titel sowieso, aber auch als Rezension.

Der Roman hat es mehr als verdient auch an dieser Stelle im Adventskalender erneut aufzutauchen. Dass Horsts Rezi dabei eine ganz eigene Qualität in sich birgt, erhöht den Wert noch zusätzlich.

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Adventskalender 2023 T-24: Immer nach Hause

von am 30. November 2023 1 Kommentar

GerdHeute beginnt unser alljährlicher Adventskalender. Zusätzlich zu unseren "normalen" Rezensionen gibt es bis Heilig Abend täglich einen Tipp für eure Wunschzettel oder eine Idee zum verschenken. Ergänzt werden diese Beiträge durcch unsere Podcasts, die in der Adventszeit auch jeweils um diese Themen kreisen. Ideen und Tipps fürs Weihnachtsfest. Der erste Beitrag in diesem Jahr bildet gleichzeitig den Abschluss für Horsts Serie über die erste Welle von Veröffentlichungen aus einem neuen Verlag mit einem neuen Konzept. Horst hat bereits vor dem Adventskalender begonnen, euch die Werke des Carcosa Verlages vorzustellen. Mit dem heutigen Artikel schließt er diese Serie ab und bespricht gleichzeitig sein ganz persönliches Highlight aus diesem Programm. Ein würdiger Einstieg in unsere Adventstipps:

Ursula K. Le Guin
IMMER NACH HAUSE. Roman.
Deutsche Erstausgabe
Übersetzt von Matthias Fersterer, Karen Nölle und Helmut W. Pesch
Mit Illustrationen von Margaret Chodos-Irvine und Landkarten der Autorin
(ALWAYS COMING HOME / 1985/2019)
Wittenberge, Carcosa Verlag, 2023, 859 S.
ISBN 978-3-910914-00-1
Hardcover / 48,00 Euro (Subskriptionspreis bis 1.5.2024, danach 58,00 Euro)

Vor mir liegt ein schon äußerlich gewichtiges Buch. Der freundlich hellbraune Einband trägt in sehr klarer Schrift den Namen der Autorin und den Titel IMMER NACH HAUSE. Dazwischen nimmt eine Illustration aus dem Hause benSwerk prominent ihren Platz ein.

Wer das Hardcover in die Hand nimmt und die 850 Seiten durch die Finger laufen lässt, erblickt ein- und mehrspaltig bedruckte Seiten, Bilder, Karten, Tabellen; wer Stichproben liest, findet Prosa, Gedichte, Stammbäume, sogar ein Wörterbuch.

Wer aber, wie das bei einem Roman ja üblich ist, von vorne beginnt, liest die Geschichte vom Volk der Kesh und wie diese Leute in der Zukunft versucht haben werden, mit der Welt zurecht zu kommen, die wir heute Lebenden ihnen hinterlassen. Die Kesh sind nicht isoliert, um ihr Siedlungsgebiet im Na-Tal (im dann ehemaligen Nordkalifornien gelegen) herum gibt es andere Stämme, Völker, Leute – und als gleichberechtigten Protagonisten die Natur.

Das Leben unserer Nachfahren wird uns hauptsächlich von Erzählstein näher gebracht, einer Kesh-Frau, die aus eigenem Entschluss fortgeht von ihren Leuten, die viel erlebt auf ihrer Reise – und am Ende dann doch für „immer nach Hause“ kommt.

Zusätzlich hat das Buch mit Pandora, der von Fernher gekommenen Sammlerin, eine allwissende Kommentatorin, deren Einlassungen wir das erzählerische Raum-Zeit-Koordinatennetz ebenso verdanken wie die übrigen Geschichten der Kesh, ihre Theaterstücke, ihre Kunstwerke, die Beschreibungen der Riten und Tänze, der Hütten und Plätze, der Tiere und Sträucher, der Jahreszeiten und Umweltgefahren, all der Dinge, die wir wissen wollen, um unser Bild dieser letztlich utopischen Gesellschaft zu vervollständigen.

(Wobei der Begriff »utopisch« im a-historischen Sinn gebraucht wird, da ja gerade die für eine Utopie typische Insel-Situation hier nicht gegeben ist. Es handelt sich vielmehr um Le Guins Vision einer möglichen Lebensweise für Leute, die im Einklang mit ihrer Welt sind.)

Aus all diesen Details ergibt sich ein überaus stimmiges, immer klarer und bunter werdendes Bild einer Gesellschaft, die sich von der unseren in vielen Punkten unterscheidet, von Le Guin aber mit so viel Mitgefühl und Empathie geschildert wird, dass wir diese Unterschiede ganz oft vergessen und hinein tauchen in ein überaus reiches und lebenswertes Dasein. Es gibt nur wenige Hinweise auf die weit zurückliegenden Ereignisse und was seither geschah oder welche „Vergangenheits-Technik“ noch in Gebrauch ist, es empfiehlt sich also ein langsames und aufmerksames Lesen.

Ja, man muss sein Gehirn schon einschalten bei der Lektüre dieses Buches, aber wer bereits andere Werke von Le Guin gelesen hat, weiß, dass das kein Problem darstellt, denn beim Lesen ihrer Texte aktiviert sich das Denken automatisch. Wer jemals in FREIE GEISTER oder DIE LINKE HAND DER DUNKELHEIT versunken ist, weiß zudem, dass dieses „Selbstdenken“ kein Hindernis darstellt, für das herzerwärmende Gefühl, mit einer lieben Freundin im Gespräch zu sein. Am Ende schließen wir das Buch mit einem zufriedenen, dankbaren, vielleicht sogar glücklichen Lächeln im Gesicht.

Dass dies so ist, dass diese Ausgabe von IMMER NACH HAUSE in der vorliegenden Form tatsächlich so gelungen ist, verdankt sich gleich mehreren glücklichen Zufällen. Zum einen konnte Le Guin vor einigen Jahren ihr Opus Magnum nochmals durchsehen und deutlich erweitern. Zum anderen gelang es, mit Karen Nölle als literarische Übersetzerin, Helmut W. Pesch als Linguist und Matthias Fersterer als an Umweltthemen und Mythologie interessierter Verleger und Übersetzer ein Team zusammenzustellen, wie es für dieses Buch nicht optimaler hätte sein können. Mit welchen Herausforderungen die Übersetzerriege konfrontiert war und auf welch stimmig-kreative Lösungen sie dafür kamen, zeigt beispielhaft bereits der erste Satz:

  • »Die Leute in diesem Buch könnten einst lang, lang nach unserer Zeit in Nordkalifornien gelebt haben werden.« (S. 13)

Hier zeigt die Autorin auf, was sie mit „Zukunftsarchäologie“ meint: eine in die Zukunft verlegte Betrachtung bereits Geschichte gewordener Ereignisse; echte, literarisch ausgefeilte Science Fiction. Auch für die Übersetzung des Roman-Titels ALWAYS COMING HOME gab Le Guin den entscheidenden Hinweis, handelt es sich doch um ein englischsprachiges Zitat aus dem Romanfragment HEINRICH VON OFTERDINGEN von Novalis, das im deutschen Originaltext „immer nach Hause“ lautet. Gemeinsam konnten die Übersetzer*innen alle durch das Original aufgeworfenen Fragen klären und so diese nicht genug zu lobende deutsche Fassung erstellen.

Dass wir diese herrlich fließende und dabei gleichzeitig wohldurchdachte und intelligent konstruierte Prosa nun endlich auch in unserer Muttersprache lesen dürfen, macht IMMER NACH HAUSE nicht zum Buch des Jahres, sondern zum Buch des Jahrzehnts!

Horst Illmer

GerdUnd noch eine interessante Ergänzung zu diesem Artikel. Ich habe diesen Artikel von Horst zusammen mit einer weitergeleiteten e-mail bekommen. Aus dem Hause "Memoranda Verlag" (welcher das Imprint Carcosa Verlag mit betreut) von Hardy Kettlitz persönlich (am Vorabend des Sendetermins). Aktuell ist die Sendung in der Mediathek zu finden. Den Inhalt dieser e-mail wollen wir euch natürlich nicht vorenthalten:

"Hallo ihr Lieben,

nur zur Info, falls ihr am Sonntag gegen 23:35 Uhr noch nichts vorhabt:
Denis Scheck stellt in DRUCKFRISCH (ARD) unser Buch „Immer nach Hause“ von Ursula K. Le Guin vor.
https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/druckfrisch/sendung/sendung-vom-19-11-2023-104.html
Unser Lieblingssatz:
»›Immer nach Hause‹ hat das Potenzial, zu einem ›Herrn der Ringe‹ einer ökologisch alarmierten Generation zu werden.«

Herzliche Grüße
Hardy."

 

Heute beginnt unser alljährlicher Adventskalender. Zusätzlich zu unseren "normalen" Rezensionen gibt es bis Heilig Abend täglich einen Tipp für eure Wunschzettel oder eine Idee zum verschenken. Ergänzt werden diese Beiträge durcch unsere Podcasts, die in der Adventszeit auch jeweils um diese Themen kreisen. Ideen und Tipps fürs Weihnachtsfest. Der erste Beitrag in diesem Jahr bildet gleichzeitig den Abschluss für Horsts Serie über die erste Welle von Veröffentlichungen aus einem neuen Verlag mit einem neuen Konzept. Horst hat bereits vor dem Adventskalender begonnen,

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Das lange Morgen

von am 29. November 2023 Kommentare deaktiviert für Das lange Morgen

Leigh Brackett
DAS LANGE MORGEN. Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch neu übersetzt von Hannes Riffel
(THE LONG TOMORROW / 1955)
Wittenberge, Carcosa Verlag, 2023, 284 S.
ISBN 978-3-910914-04-9
Klappenbroschur / 22,00 Euro

Die 1915 geborene Leigh Brackett war eine der ersten Frauen, die erfolgreich Science-Fiction-Geschichten schrieben, und sie blieb dem Genre ein Leben lang treu. Allerdings verdiente sie sich ihren Lebensunterhalt zusätzlich in Hollywood mit dem Schreiben von Drehbüchern, darunter solche Klassiker wie RIO BRAVO und THE EMPIRE STRIKES BACK.

Wie damals üblich begann sie Anfang der 1940er Jahre mit Kurzgeschichten die später zu Romanen zusammengefasst und als Taschenbücher veröffentlicht wurden. 1955 allerdings gelang ihr mit THE LONG TOMORROW ein Meisterwerk, das bei Doubleday sofort als Hardcover veröffentlicht wurde.

Der Roman spielt in einer postapokalyptischen Zukunft, in denen die USA sich nach einem Atomkrieg in einer Phase des Neubeginns befinden, die vor allem von Landwirtschaft und Religion geprägt wird. Großstädte, Technik und Erfindungsgeist sind verpönt und werden unterdrückt. In dieser restriktiven Gesellschaft regen sich bei dem jungen Len Colter, angestachelt von seinem Vetter Esau, Widerspruchsgeist und Abenteuerlust. Gemeinsam verlassen sie ihr Heimatdorf und ziehen los, um die sagenumwobene Technikmetropole Bartorstown zu suchen …

Brackett gelingt es in ihrem Entwicklungsroman die Balance zu halten zwischen spannendem Abenteuer, psychologisch fundierten Einblicken in die Vorstellungswelten ihrer Protagonisten und den Argumenten für und gegen einen neuen technischen Fortschritt. Als Anregung für ihre ländliche Agrargesellschaft dienten ihr eine Gemeinde der Amish, die sie kennen lernte als sie mit ihrem Mann Edmond Hamilton nach Ohio gezogen war.

Auf Deutsch erschien das Werk erstmals 1959 unter dem Titel AM MORGEN EINER ANDEREN ZEIT in der Heftromanreihe UTOPIA-Großband. Sowohl diese Ausgabe als auch die 1983 erschienene Neuausgabe als UTOPIA-Taschenbuch sind stark gekürzt und fürchterlich bearbeitet.

Umso verdienstvoller ist deshalb die Veröffentlichung bei Carcosa, die von Hannes Riffel neu übersetzt wurde und den Titel DAS LANGE MORGEN trägt. Erstmals ungekürzt und mit dem nötigen Respekt übertragen, kann sich hier Bracketts Erzählkunst voll entfalten. Wenn Len am Ende des Buches gemeinsam mit seiner Frau um die Erkenntnis ringt, welchen Weg sie gemeinsam gehen sollen, wo die Zukunft ihrer Kinder liegen soll, dann ist diese Szene so intensiv nachfühlbar wie dies nur bei wirklich guter Literatur möglich ist. Mit DAS LANGE MORGEN findet ein großes Werk der US-amerikanischen Science Fiction endlich seinen Weg zu uns.

Horst Illmer

Leigh Brackett
DAS LANGE MORGEN. Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch neu übersetzt von Hannes Riffel
(THE LONG TOMORROW / 1955)
Wittenberge, Carcosa Verlag, 2023, 284 S.
ISBN 978-3-910914-04-9
Klappenbroschur / 22,00 Euro

Die 1915 geborene Leigh Brackett war eine der ersten Frauen, die erfolgreich Science-Fiction-Geschichten schrieben, und sie blieb dem Genre ein Leben lang treu. Allerdings verdiente sie sich ihren Lebensunterhalt zusätzlich in Hollywood mit dem Schreiben von Drehbüchern, darunter solche Klassiker wie RIO BRAVO und THE EMPIRE STRIKES BACK.

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Babel-17

von am 27. November 2023 Kommentare deaktiviert für Babel-17

Samuel R. Delany
BABEL-17. Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch neu übersetzt von Jakob Schmidt
(BABEL-17 / 1966/2001)
Wittenberge, Carcosa Verlag, 2023, 250 S.
ISBN 978-3-910914-02-5
Klappenbroschur / 20,00 Euro

Samuel R. Delany, Jahrgang 1942 und damit dreizehn Jahre jünger als Ursula K. Le Guin, kann mit einigem Recht in Anspruch nehmen, sowohl in seinen literarischen wie in seinen theoretischen Werken der US-amerikanische Autor zu sein, der Le Guin in jeder Weise am nächsten kommt. Aufgrund persönlicher Umstände begannen beide fast gleichzeitig mit dem veröffentlichen von Science Fiction, beide schrieben gleichermaßen Kurzgeschichten, Romane, Essays, Buchbesprechungen und Sachbücher. Beide waren enorm politisch und lieferten Texte, auf die sich Aktivist*innen aus den Bereichen Feminismus, Gender und Umweltschutz auch heute noch berufen – aber auch ebenso kluge Beiträge zur Linguistik und Philologie.

Als gelungenster Beitrag Delanys zur Sprachtheorie gilt sein überaus lesenswerter und spannender Science-Fiction-Roman BABEL-17 aus dem Jahr 1966, für den er mit dem Nebula Award ausgezeichnet wurde. Für die Aufnahme von BABEL-17 in das erste Programm von Carcosas „phantastischer Weltliteratur“ spricht also einiges: obwohl es bereits drei Taschenbuchausgaben des Textes gibt, ist das Buch seit über 25 Jahren vergriffen; zudem gelten die frühen amerikanischen Ausgaben als „korrupt“, da Delanys Manuskript sowohl Verlag wie Setzer überforderten, was der Autor erst bei späteren Ausgaben berichtigen konnte, sodass Jakob Schmidt bei seiner Neuübersetzung auf eine überarbeitete Fassung aus dem Jahr 2001 zugreifen konnte.

Die Heldin dieser als Space Opera getarnten Übung in linguistisch-semiotischer Fantasie ist Rydra Wong, eine Verbeugung Delanys vor seiner damaligen Ehefrau, der Dichterin Marilyn Hacker, deren Gedichte im Buch auch immer wieder zitiert werden. In einer weit entfernten Zukunft wird Wong vom Generalstab der Vereinigten Menschheit rekrutiert, da die galaxisweit verehrte Linguistin und Dichterin als letzte Hoffnung im intergalaktischen Krieg mit einer fast allmächtig scheinenden feindlichen Macht gilt. Tatsächlich gelingt es ihr, einen Teil der „Feindsprache Babel-17“ zu entschlüsseln und so macht sie sich auf, um im Hauptkampfgebiet ihre Theorien zu überprüfen …

Dann stellt sich jedoch heraus, dass „Babel-17“ die eigentliche Waffe ist: die Verwendung dieser Sprache ist wirklichkeitskonstituierend, d.h. was in ihr mitgeteilt wird, geschieht. Nur Wongs zusätzliche Fähigkeit der Telepathie rettet sie vor der Vernichtung und ermöglicht es ihr letztlich eine Chance für ein Ende des Krieges zu finden. Dann schreibt sie „das beste Stück Prosa“ ihrer Karriere.

Damit werden die weiteren Gründe für die Veröffentlichung von BABEL-17 ersichtlich: dass wir dieses tolle Buch endlich einmal (wieder) lesen können – und um es allen in die Hand zu drücken, die uns fragen, ob wir ihnen ein Science-Fiction-Werk zeigen können, dass es mit der besten zeitgenössischen Hochliteratur aufnehmen kann. Yes We Can!

Horst Illmer

Samuel R. Delany
BABEL-17. Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch neu übersetzt von Jakob Schmidt
(BABEL-17 / 1966/2001)
Wittenberge, Carcosa Verlag, 2023, 250 S.
ISBN 978-3-910914-02-5
Klappenbroschur / 20,00 Euro

Samuel R. Delany, Jahrgang 1942 und damit dreizehn Jahre jünger als Ursula K. Le Guin, kann mit einigem Recht in Anspruch nehmen, sowohl in seinen literarischen wie in seinen theoretischen Werken der US-amerikanische Autor zu sein, der Le Guin in jeder Weise am nächsten kommt.

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Vor der Revolution

von am 22. November 2023 2 Kommentare

Hannes Riffel (Hrsg.)
VOR DER REVOLUTION.
Ein phantastischer Almanach – Erste Folge.
Wittenberge, Carcosa Verlag, 2023, 278 S.
ISBN 978-3-910914-08-7
Klappenbroschur / 18,00 Euro

So etwas hat es schon lange nicht mehr gegeben. Ein neuer Verlag, spezialisiert auf herausragende Science Fiction, die mehr als bloße Unterhaltung bietet, auf Bücher, die zu Freunden fürs Leben werden, auf Lektüren, die die eigene Weltbetrachtung verändern, auf Geschichten, die Herz und Verstand gleichermaßen er­greifen und nicht mehr loslassen. Ein solcher Verlag ist Carcosa, der im Oktober 2023 sein erstes Programm herausbrachte, das aus vier absolut lesenswerten Romanen von Ursula K. Le Guin, Samuel R. Delany, Leigh Brackett und Gene Wolfe besteht.

Zur Abrundung eines solchen Programms bedarf es dann natürlich auch eines Mediums für kürzere Sachtexte (Interviews, Artikel, Essays usw.) und für Kurzgeschichten. Die literarische Form, die dafür am besten geeignet scheint, ist seit Jahrhunderten der Almanach – und damit hat Hannes Riffel früher schon gute Erfahrungen gemacht, erschienen unter seiner Ägide doch zwei Bände DAS SCIENCE FICTION JAHR und fünf Ausgaben von Pandora.

Bei Carcosa trägt die erste, von Riffel zusammengestellte, Almanach-Folge den Titel VOR DER REVOLUTION und zeugt von der riesigen Erfahrung dieses Herausgebers. Wie eine „Klammer“ umschließen die dreizehn Beiträge dieses erste Verlagsprogramm und bieten dabei zugleich auch schon qualifizierte Ausblicke auf das kommende.

Natürlich erklärt Riffel in seiner „Vorrede“ erst einmal das Wie? Wo? Was? und Warum? von Verlag und Programm und leitet dann über zur ersten Story, „Ein Einwohner von Carcosa“ von Ambrose Bierce, wobei sich auch der Verlagsname erklärt.

Es folgen nun eine Reihe von Texten, die in den meisten anderen Verlagen als Vor- bzw. Nachworte in den jeweiligen Romanen erschienen – und dort untergegangen – wären: So schreibt Julie Phillips über ihre Begegnung mit Ursula K. Le Guin (von der sich dann, ganz zwanglos, drei Stories anschließen), Helmut W. Pesch stellt Leigh Brackett als „Königin der Space Opera“ vor, Christopher Ecker beschäftigt sich mit den Rätseln, die Gene Wolfe in DER FÜNFTE KOPF DES ZERBERUS aufwirft und Clemens J. Setz macht „Bemerkungen über Samuel R. Delany“. Von Delany stammt dann auch die Novelle IMPERIUMSSTERN, die für die Neuveröffentlichung noch einmal von Autor und Herausgeber durchgesehen wurde.

Die noch verbleibenden Beiträge von Alec Pollak (über Joanna Russ), Karlheinz Steinmüller (über Erik Simon) und Dietmar Dath (über Alan Moore) weisen auf Geplantes hin, darunter eine Werkausgabe der Prosatexte von Joanna Russ und der Mega-Monumental-Riesen-Roman JERUSALEM, mit dem sich Alan Moore von seinen Wurzeln als Comic-Texter freischwimmen wollte.

Als Anthologie besteht VOR DER REVOLUTION durchaus alleine, so viele lesenswerte Texte sind in jedem Fall vorhanden, aber als Verlags-Almanach ist er zugleich die perfekte Ergänzung zu jedem der vier Romane – und außerdem noch Appetitanreger für die nächsten Bücher mit „phantastischer Weltliteratur“ (so der bescheidene Verlags-Slogan).

Horst Illmer

Hannes Riffel (Hrsg.)
VOR DER REVOLUTION.
Ein phantastischer Almanach – Erste Folge.
Wittenberge, Carcosa Verlag, 2023, 278 S.
ISBN 978-3-910914-08-7
Klappenbroschur / 18,00 Euro

So etwas hat es schon lange nicht mehr gegeben. Ein neuer Verlag, spezialisiert auf herausragende Science Fiction, die mehr als bloße Unterhaltung bietet, auf Bücher, die zu Freunden fürs Leben werden, auf Lektüren, die die eigene Weltbetrachtung verändern, auf Geschichten, die Herz und Verstand gleichermaßen er­greifen und nicht mehr loslassen.

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Julia

von am 20. November 2023 Kommentare deaktiviert für Julia

Sandra Newman
JULIA. Roman.
Ü: Karoline Hippe
(JULIA / 2023)
Köln, Eichborn, 2023, 445 S.
ISBN 978-3-8479-0156-3 / 24,00 Euro
Hardcover

Über das Leben von Winston Smith, dem tragischen „Helden“ in George Orwells Jahrhundertbuch 1984, wissen wir so gut wie alles – schließlich konnten wir nicht nur sein Tagebuch lesen, sondern waren auch Zeugen seiner Vernehmung durch die Gedankenpolizei und der Gespräche mit seiner Geliebten Julia.

Aber wie sieht es denn mit Julia selbst aus? Woher kommt sie? Welche Geschichte steckt hinter der selbstbewussten Fassade der Systemverächterin und Sex liebenden Semi-Revolutionärin, die ihr Schicksal so selbstverständlich mit dem von Smith verkettet?

Diese Fragen beantwortet ausführlich der soeben erschienene Roman JULIA der amerikanischen Autorin Sandra Newman. Denn in Julias Leben, das hier konsequent aus ihrer Sicht erzählt wird, ist die gemeinsam mit Smith verbrachte Zeit nur eine (wenngleich eine wichtige) Episode. Newman gibt auch Julias früheren Entwicklung und der Zeit nach dem Folterkeller genügend Raum, in dem sich eine verblüffend andere Person zeigt, als der orwellsche Text impliziert.

Und so ist der Roman JULIA, in dem eine der bekanntesten Geschichten des 20. Jahrhunderts eine neue, andere, weibliche Deutung erfährt, eines der überraschendsten Bücher des Jahres 2023 geworden!

Horst Illmer

Sandra Newman
JULIA. Roman.
Ü: Karoline Hippe
(JULIA / 2023)
Köln, Eichborn, 2023, 445 S.
ISBN 978-3-8479-0156-3 / 24,00 Euro
Hardcover

Über das Leben von Winston Smith, dem tragischen „Helden“ in George Orwells Jahrhundertbuch 1984, wissen wir so gut wie alles – schließlich konnten wir nicht nur sein Tagebuch lesen, sondern waren auch Zeugen seiner Vernehmung durch die Gedankenpolizei und der Gespräche mit seiner Geliebten Julia.

Aber wie sieht es denn mit Julia selbst aus?

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Der fünfte Kopf des Zerberus

von am 13. November 2023 Kommentare deaktiviert für Der fünfte Kopf des Zerberus

Gene Wolfe
DER FÜNFTE KOPF DES ZERBERUS. Novellen.
Aus dem amerikanischen Englisch von Hannes Riffel
(THE FIFTH HEAD OF CERBERUS / 1972)
Wittenberge, Carcosa Verlag, 2023, 296 S.
ISBN 9783910914063
Klappenbroschur / 22,00 Euro

Gene Wolfe hat ein Roman-Puzzle geschrieben (man könnte auch „Novellen-Zyklus“ oder „Mosaikroman“ dazu sagen), welches jeder Leser in seinem Kopf selbst zusammenfügen muss. Da Wolfe dafür keine Vorlage liefert, und die Einzelteile manchmal gar nicht, manchmal aber auch an vielen Stellen zusammenpassen, könnte es sein, dass am Ende genau so viele Romane existieren wie das Buch Leser hat. Allerdings besteht Wolfes Genie darin, dass alle Leser mit ihrer Version dieses Puzzles zufrieden sein können.

Der Bezugspunkt aller drei Geschichten ist die Verortung in einem Doppel-Planeten-System (Sainte Anne & Sainte Croix), das vor etwas mehr als zweihundert Jahren von Menschen besiedelt wurde. Es gab wohl Ureinwohner, allerdings scheinen sie ausgestorben zu sein. Dr. John V. Marsch, ein Forscher von der Erde, der nach eventuell noch lebenden „Abos“ oder den Spuren ihrer untergegangenen Zivilisation suchen will, reist nach einem längeren Aufenthalt auf Sainte Anne weiter nach Sainte Croix.

In der ersten Novelle („Der fünfte Kopf der Zerberus“) erzählt ein junger Mann in Ich-Form von seiner Kindheit und Jugend im Haus seines Vaters, das sowohl ein Bordell wie ein Gen-Labor enthält und in dessen weitläufigen Korridoren nicht nur der Junge (den sein Vater nur „Nummer Fünf“ nennt) und sein Bruder leben, sondern auch ein Roboter, der die Kinder unterrichtet, sowie deren behinderte Tante, die eine anerkannte Anthropologien ist. Im Verlauf der Handlung entwickelt Nummer Fünf die Überzeugung, dass er seinen Vater töten müsse, bevor dieser ihn intellektuell zerstört, und führt dieses Vorhaben dann auch aus. Kurz vorher kommt ein Anthropologe namens Dr. Marsch zu Besuch, der sich bei Tante und Vater nach den Ureinwohnern des Planeten erkundigt.

Der zweite Teil („»Eine Geschichte« von John V. Marsch“) erzählt in Form einer Sage vom Leben der Ureinwohner. Diese waren wohl Gestaltwandler und zugleich unfähig Werkzeuge zu benutzen. Trotzdem besaßen sie eine reiche Kultur, in der Träume und Naturverbundenheit sehr wichtig waren. Diese Erzählung endet mit der Landung des ersten Raumschiffs von der Erde.

Die dritte und umfangreichste Novelle („V.R.T.“) besitzt die komplexeste Form: In eine Rahmenhandlung (ein Offizier soll Prozessunterlagen prüfen) eingefügt lesen wir verschiedene, zeitlich und formal ungeordnete und vermengte, Texte, die Aufschluss geben sollen über das Schicksal von Dr. Marsch. Dieser hat vor seinem Eintreffen auf Sainte Croix auf dem Schwesterplaneten Sainte Anne eine Expedition unternommen, dafür einen Führer engagiert, und ist für drei Jahre im unbesiedelten Hinterland verschwunden, um die Spuren der Ureinwohner (oder diese selbst) zu suchen. Bei seiner Rückkehr erklärt er, sein Führer sei tot, nimmt ein Raumschiff nach Sainte Croix und will an der dortigen Universität seine Forschungsergebnisse vorstellen. Allerdings wird er von der Geheimpolizei verhaftet und monatelang verhört. Alle persönlichen Aufzeichnung von Dr. Marsch sowie die Verhörprotokolle erhält nun besagter Offizier zur Kenntnis und Stellungnahme. Allerdings beschäftigt er sich nur sehr oberflächlich mit dem Material, sodass sich am Ende ein recht löchriges Gesamtbild ergibt, dessen Lücken Raum für eine Vielzahl von Interpretationen lassen.

Obwohl ich das Buch vor vielen Jahrzehnten bereits ein erstes Mal gelesen hatte, besaß ich keinerlei Erinnerungen mehr an Details, sondern nur ein Gefühl von positiver Erwartung. Bereits nach wenigen Seiten war ich erneut im Buch gefangen und mir sicher, dass es sich hierbei um ein absolutes Meisterwerk handelt. Diesmal ist mir so richtig klar geworden, wie viele Ebenen diese komplexe Konstruktion beinhaltet. Es ist am Ende nicht einmal klar, wann die ersten Raumschiffe auf einem der Planeten gelandet sind, auf welcher Welt einige der Szenen angesiedelt sind, ob die Abos auf beiden Planeten lebten (oder noch leben), welche politischen Machtverhältnisse es zum Erzählzeitpunkt gibt usw.
Dieses faszinierende Werk verlangt geradezu nach weiterer „Durchdringung“.

Horst Illmer

Gene Wolfe
DER FÜNFTE KOPF DES ZERBERUS. Novellen.
Aus dem amerikanischen Englisch von Hannes Riffel
(THE FIFTH HEAD OF CERBERUS / 1972)
Wittenberge, Carcosa Verlag, 2023, 296 S.
ISBN 9783910914063
Klappenbroschur / 22,00 Euro

Gene Wolfe hat ein Roman-Puzzle geschrieben (man könnte auch „Novellen-Zyklus“ oder „Mosaikroman“ dazu sagen), welches jeder Leser in seinem Kopf selbst zusammenfügen muss. Da Wolfe dafür keine Vorlage liefert, und die Einzelteile manchmal gar nicht, manchmal aber auch an vielen Stellen zusammenpassen,

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Science Fiction Art & Kalendergeschichten 2024

von am 8. November 2023 Kommentare deaktiviert für Science Fiction Art & Kalendergeschichten 2024

Marianne Labisch, Mario Franke & Uli Bendick (Hrsg.)
SCIENCE FICTION ART & KALENDERGESCHICHTEN 2024.
Illustrationen: Mario Franke & Uli Bendick
Verlag Torsten Low, 2023, 14 Blätter
Querformat 42 x 30 cm, Spiralbindung mit Aufhänger / 19,90 Euro

Es mag auf den ersten Blick eine merkwürdige Zusammenstellung sein: die auf ihren Ewigkeitswert setzende Literatur und der auf Tagesaktualität und Vergänglichkeit hin ausgerichtete Kalender – wenn die Verbindung von Beidem dann allerdings so aussieht wie der von der Schriftstellerin Marianne Labisch und den Künstlern Mario Franke und Uli Bendick zusammengestellte Wandkalender SCIENCE FICTION ART & KALENDERGESCHICHTEN 2024 dann wird daraus mit einem Mal eine unauflösliche und harmonische Symbiose.

Die Frontseiten des Kalendariums schmücken abwechselnd je sechs farbige Bilder von Bendick und Franke. Auf den Rückseiten derselben (inklusive des Deckblattes) finden sich dann 13 Science-Fiction-Geschichten von den derzeit wohl besten deutschsprachigen Autor*innen; nämlich, in alphabetischer Reihenfolge, Corinna Griesbach, Isabell Hemmrich, Anke Höhl-Kayser, Heidrun Jänchen, Marianne Labisch, Karin Leroch, Monika Loerchner, Tessa Maelle, Aiki Mira, Monika Niehaus, Ellen Norten, Janika Rehak und Yvonne Tunnat. Alle Stories haben zudem noch jeweils eine Schwarzweiß-Illustration.

Der großformatige (DIN A3) Kalender erschien überraschender Weise im Verlag von Torsten Low, der ja nicht nur für seine „Bissiger Verleger“-T-Shirts, sondern auch für seine überaus kleinformatigen Bücher bekannt ist. Zur Ausstattung gehören noch ein fester Karton für die Stabilität, zwei durchsichtige Schutzfolien vorne und hinten sowie ein Blatt mit biografischen Kurzporträts der Beteiligten.

Wer noch keinen Wandkalender für das nächste Jahr hat oder noch irgendwo einen unterbringen kann, wer nach einem ausgefallenen Geschenk sucht oder einfach auch nur gerne gute Kurzgeschichten liest (das Projekt könnte auch als illustrierte Anthologie durchgehen), wer die Science Fiction sowohl als Literatur wie als Kunst liebt, kann an SCIENCE FICTION ART & KALENDERGESCHICHTEN 2024 einfach nicht vorbei.
Und für Sammler ist dieses Objekt sowieso unverzichtbar.

Horst Illmer

Marianne Labisch, Mario Franke & Uli Bendick (Hrsg.)
SCIENCE FICTION ART & KALENDERGESCHICHTEN 2024.
Illustrationen: Mario Franke & Uli Bendick
Verlag Torsten Low, 2023, 14 Blätter
Querformat 42 x 30 cm, Spiralbindung mit Aufhänger / 19,90 Euro

Es mag auf den ersten Blick eine merkwürdige Zusammenstellung sein: die auf ihren Ewigkeitswert setzende Literatur und der auf Tagesaktualität und Vergänglichkeit hin ausgerichtete Kalender – wenn die Verbindung von Beidem dann allerdings so aussieht wie der von der Schriftstellerin Marianne Labisch und den Künstlern Mario Franke und Uli Bendick zusammengestellte Wandkalender SCIENCE FICTION ART &

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Elric – Die illustrierte Gesamtausgabe

von am 1. November 2023 5 Kommentare

Michael Moorcock
ELRIC. Die illustrierte Gesamtausgabe.
Aus dem Englischen von Hannes Riffel
Illustriert von John Picacio, Brom, Piotr Jablonski & Lecouffe Deharme
Mit Vorworten von Alan Moore, Neil Gaiman, Holly Black, Michael Chabon, Kai Meyer, Markus Heitz, Tad Williams & Walter Mosley
Originalausgabe
Frankfurt, S.Fischer/TOR, 2023, 1167 S.
ISBN 978-3-596-70768-3 / 68,00 Euro
Großformatiges Hardcover

Mein Gott, was haben wir die Elric-Bücher von Michael Moorcock geliebt, damals in den 1980er Jahren: Die Swinging Sixties hatten wir verpasst, die Beatles hatten sich aufgelöst, die Welt war frisch und neu und verlangte entdeckt zu werden. Und dabei half uns ein bleicher Fantasyheld, der mit seinem blutdurstigen Schwert Sturmbringer gegen Alles und Jeden in den Kampf zog.

Michael Moorcock gehört zu den Gründervätern der „New Wave“, er selbst hat einen „Ewigen Helden“ erschaffen, der in vielerlei Ausprägungen durch seine mehr als hundert Romane geistert, daneben gilt seine Leidenschaft dem vom Synthesizer geprägten „Space-Rock“. Was ihn (und seine Romanhelden) für uns, gleich neben David Bowie, zu einer idealen ersten Identifikationsfigur machte.

Und jetzt also, gefühlte Ewigkeiten später, dieser Türstopper: ELRIC. Die illustrierte Gesamtausgabe! Soweit ich erkennen kann, gibt es weltweit keine solche Monumentalausgabe, die in acht Bücher unterteilt, den größten Teil aller Geschichten um Elric von Melniboné zusammenfasst, die Moorcock seit 1961 geschrieben hat. Es handelt sich um Romane, Kurzgeschichten und aus Novellen zusammengefügte Episodenromane, die in chronologischer Reihenfolge die Geschichte des schwächlichen Albino-Fürsten erzählen, der gleichsam gegen seinen Willen zum (Anti-)Helden einer durch das Schwert regierten Fantasywelt wird.

Die eingestreuten „Vorworte“ von so illustren Autor*innen wie Alan Moore, Neil Gaiman, Holly Black, Kai Meyer, Markus Heitz oder Tad Williams zeigen, dass wir mit unserer Faszination nicht alleine sind. Der Großteil der schwarz-weißen Illustrationen stammt von John Picacio, die eingestreuten vier Farbtafeln (u. a. von Brom) wirken in dieser Textmasse etwas sparsam, sehr schön ist dafür die farbige Karte auf den Vorsatzpapieren und der Schutzumschlag von Altmeister Chris Achilleos überzeugt.

Wie bei solchen seitenstarken Riesenbüchern üblich, eignet es sich nicht zum im Bett lesen oder als Urlaubslektüre; dafür sind hier alle für die ELRIC-Saga relevanten (und größtenteils seit vielen Jahren nicht mehr erreichbaren) Texte zusammengefasst. So bleiben, auch durch die gelungene Übersetzung von Hannes Riffel vermittelt, keine Wünsche offen bezüglich des nostalgischen Wiedersehens mit einer der größten und widersprüchlichsten Figuren der modernen Fantasy.

Horst Illmer

Michael Moorcock
ELRIC. Die illustrierte Gesamtausgabe.
Aus dem Englischen von Hannes Riffel
Illustriert von John Picacio, Brom, Piotr Jablonski & Lecouffe Deharme
Mit Vorworten von Alan Moore, Neil Gaiman, Holly Black, Michael Chabon, Kai Meyer, Markus Heitz, Tad Williams & Walter Mosley
Originalausgabe
Frankfurt, S.Fischer/TOR, 2023, 1167 S.
ISBN 978-3-596-70768-3 / 68,00 Euro
Großformatiges Hardcover

Mein Gott, was haben wir die Elric-Bücher von Michael Moorcock geliebt, damals in den 1980er Jahren: Die Swinging Sixties hatten wir verpasst,

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Die Insel des Doktor Moreau

von am 25. Oktober 2023 2 Kommentare

H. G. Wells
DIE INSEL DES DOKTOR MOREAU. Roman.
Ü: Felix Paul Greve & Marion Hertle
Ill. & Anmerkungen: Bill Sienkiewicz, Vorwort: Guillermo del Toro
o. O. (München), Verlagsbuchhandlung Liebeskind, 2023, 176 S. 24,5 x 17,5 Hardcover
ISBN 978-3-95438-167-8
32,00 Euro

Wow! Und ich dachte schon, die Reihe mit den „illuminierten“ Luxuseditionen des amerikani­schen Verlags Beehive Books bleibt der deutschsprachigen Leserschaft auf alle Zeiten verborgen.

Jetzt wagt sich ausgerechnet die Münchener Verlagsbuchhandlung Liebeskind an eine Deutsche Ausgabe – und startet diese, wie der Originalverlag, mit dem 1896 erstmals erschienenen Roman DIE INSEL DES DOKTOR MOREAU von H. G. Wells.

Das Buch gehört zu den umstrittensten Werken des englischen Großmeisters, vor allem wegen der ausführlich geschilderten Grausamkeiten, die der auf der Insel gestrandete Schiffbrüchige Edward Prendick mit ansehen muss, während er bei Dr. Moreau und dessen Helfer Montgomery „zu Gast“ ist. Da Wells selbst Lehramt mit dem Hauptfach Biologie studiert hat, gelingen ihm die Darstellung von Dr. Moreaus biologischen Experimenten mit Tier-Mensch-Hybriden so außerordentlich plastisch, dass es auch 125 Jahre später noch für Gänsehaut bei der Lektüre ausreicht.

Besonders an dieser Neuedition sind das Vorwort von Guillermo del Toro und – unübersehbar – die Buchgestaltung mit Farbbildern und einfarbigen Illustrationen von Bill Sienkiewicz. Anders als del Toro, der DIE INSEL DES DOKTOR MOREAU für Wells’ „wichtigsten Roman“ hält, bekennt sich Sienkiewicz dazu, ein KRIEG DER WELTEN-Fan zu sein, der DIE INSEL DES DOKTOR MOREAU vor allem ausgewählt hat, um mit seinen Bildern ein Gegengewicht zu den diversen (und schlecht gemachten) Verfilmungen zu setzen – und das gelingt ihm vorzüglich, um das mindeste zu sagen.

Nachdem der Verlag damit wirbt, dass Margaret Atwood das Werk für unvergesslich hält, Jorge Louis Borges den „frühen Wells“ bevorzugt und gerade DIE TOCHTER DES DOKTOR MOREAU der mexikanisch-kanadischen Autorin Silvia Moreno-Garcia im Limes Verlag veröffentlicht wurde, erscheint ein Blick ins Original durchaus (wieder einmal) empfehlenswert.

Horst Illmer

H. G. Wells
DIE INSEL DES DOKTOR MOREAU. Roman.
Ü: Felix Paul Greve & Marion Hertle
Ill. & Anmerkungen: Bill Sienkiewicz, Vorwort: Guillermo del Toro
o. O. (München), Verlagsbuchhandlung Liebeskind, 2023, 176 S. 24,5 x 17,5 Hardcover
ISBN 978-3-95438-167-8
32,00 Euro

Wow! Und ich dachte schon, die Reihe mit den „illuminierten“ Luxuseditionen des amerikani­schen Verlags Beehive Books bleibt der deutschsprachigen Leserschaft auf alle Zeiten verborgen.

Jetzt wagt sich ausgerechnet die Münchener Verlagsbuchhandlung Liebeskind an eine Deutsche Ausgabe – und startet diese,

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Der Werwolf von Tarker Mills

von am 11. Oktober 2023 Kommentare deaktiviert für Der Werwolf von Tarker Mills

Stephen King
DER WERWOLF VON TARKER MILLS.
Illustriert von Bernie Wrightson
Ü: Helmut W. Pesch
(CYCLE OF THE WEREWOLF / 1983)
Bielefeld, Splitter, 2023, 136 S.
ISBN 978-3-98721-184-3 / Hardcover / 25,00 Euro

Wenn im Splitter Verlag eine Zusammenarbeit von Stephen King und Bernie Wrightson erscheint, muss das nicht unbedingt ein Comic sein. DER WERWOLF VON TARKER MILLS ist ein Kurzroman von King in 12 Kapiteln, der ursprünglich 1983 erschien, mit über 30 einfarbigen und bunten Bildern von Wrightson.

Die Idee zu diesen „Kalendergeschichten“, so erzählt King in seinem Vorwort, stammt von einem amerikanischen Fan und Kleinverleger, der unbedingt ein Buch herausbringen wollte, das seine Lieblingskünstler Wrightson und King gemeinsam schufen. Daraus wurde dann nicht nur der vorliegende Kurzroman, sondern sogar noch ein Drehbuch und ein Realfilm. Während Film und Drehbuch längst vergessen sind, bilden der ursprüngliche Text und die dazugehörigen Illustrationen nach wie vor eine überzeugende, lesens- und ansehenswerte Einheit.

Die Geschichte eines Werwolfs, der jeden Monat einmal sein Unwesen treibt, und eines behinderten Jungen, der sich dem Monster in seinem Rollstuhl in den Weg stellt, besitzt eine fesselnde Kraft – und die abwechselnd doppelseitigen Schwarzweißzeichnungen, teils ganzseitigen Farbseiten von Wrightson, zeigen den erfahrenen Comic-Künstler auf der Höhe seiner Schaffenskraft.

Bisherige deutsche Ausgaben dieses Buches erschienen als Taschenbuch oder im Paperbackformat; dankenswerterweise bringt Splitter den WERWOLF VON TARKER MILLS jetzt im Comicalbum-Format heraus, wodurch sich die Qualität der Illustrationen in voller Pracht entfalten kann.

Horst Illmer

Stephen King
DER WERWOLF VON TARKER MILLS.
Illustriert von Bernie Wrightson
Ü: Helmut W. Pesch
(CYCLE OF THE WEREWOLF / 1983)
Bielefeld, Splitter, 2023, 136 S.
ISBN 978-3-98721-184-3 / Hardcover / 25,00 Euro

Wenn im Splitter Verlag eine Zusammenarbeit von Stephen King und Bernie Wrightson erscheint, muss das nicht unbedingt ein Comic sein. DER WERWOLF VON TARKER MILLS ist ein Kurzroman von King in 12 Kapiteln, der ursprünglich 1983 erschien, mit über 30 einfarbigen und bunten Bildern von Wrightson.

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Adam und Ada

von am 2. Oktober 2023 Kommentare deaktiviert für Adam und Ada

Christian Kellermann
ADAM UND ADA.
Berlin, Hirnkost, 2023, 405 S.
ISBN 978-3-98857-005-5 / 24,00 Euro
Hardcover

Als 1913 Bernhard Kellermanns Zukunftsroman DER TUNNEL veröffentlicht wurde, erreichte die Geschichte um den visionären Unternehmer MacAllan, der einen Eisenbahntunnel unter dem Atlantik bauen wollte, um Amerika und Europa zu verbinden, augenblicklich die Herzen der Leser*innen, was sich in Millionenauflage und stetigen Neuausgaben manifestierte. Aktuell schaffte es DER TUNNEL sogar als Auftaktband die Reihe der „wiederentdeckten Schätze der deutschsprachigen Science Fiction“ im Hirnkost Verlag zu starten.

Was uns ganz zwanglos zu ADAM UND ADA führt, dem ebenfalls bei Hirnkost veröffentlichten Debütroman von Christian Kellermann, seines Zeichens Erforscher der Künstlichen Intelligenz und Hochschullehrer in Berlin. Dessen Buch beginnt mit einem in blauen Lettern gesetzten Abschnitt über den MacAllanschen Tunnelbau, der vor mehr als einhundert Jahren in einer kritischen Phase steckte. Erst danach werden wir (jetzt in gewohntem Schwarz) mit Ada MacAllan bekannt gemacht, allein erziehende Mutter, geniale Programmiererin und Weltklasse-Biologin, die im Stockholm der Gegenwart kurz davor steht, mittels Künstlicher Intelligenz die letzten Rätsel der Mikrobiologie zu lösen. Wie sich im weiteren Verlauf zeigt, muss auch sie sich, wie bereits ihr Urgroßvater, auf Hilfe und Unterstützung von kapitalstarken Partnern einlassen – und wer zahlt, bestimmt, was mit den Ergebnissen passiert …

Während wir Ada in der Welt des frühen 21. Jahrhunderts bei ihren privaten und geschäftlichen Problemen folgen, führt uns der Autor Christian Kellermann in (farblich) geschickt gesetzten Zwischenkapiteln immer wieder zurück in die 1920er Jahre, in denen Bernhard Kellermanns MacAllan seinen Tunnel, allen Widrigkeiten zu Trotz, fertigstellt. Und genau diesen Tunnel nutzt Ada hundert Jahre später für ihre Forschungsarbeit!

»ADAM UND ADA« wird so nicht nur zu einem spannenden Wissenschafts-Thriller, sondern erzählt auch eine sich über mehrere Ebenen erstreckende faszinierende Familiengeschichte.

Horst Illmer

Christian Kellermann
ADAM UND ADA.
Berlin, Hirnkost, 2023, 405 S.
ISBN 978-3-98857-005-5 / 24,00 Euro
Hardcover

Als 1913 Bernhard Kellermanns Zukunftsroman DER TUNNEL veröffentlicht wurde, erreichte die Geschichte um den visionären Unternehmer MacAllan, der einen Eisenbahntunnel unter dem Atlantik bauen wollte, um Amerika und Europa zu verbinden, augenblicklich die Herzen der Leser*innen, was sich in Millionenauflage und stetigen Neuausgaben manifestierte. Aktuell schaffte es DER TUNNEL sogar als Auftaktband die Reihe der „wiederentdeckten Schätze der deutschsprachigen Science Fiction“ im Hirnkost Verlag zu starten.

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Batman: One Bad Day: Riddler

von am 13. September 2023 1 Kommentar

Tom King (Text) & Mitch Gerads (Bilder)
BATMAN – ONE BAD DAY: RIDDLER
Übersetzung: Ralph Kruhm
(Batman – One Bad Day: The Riddler / 2022)
Stuttgart, Panini Comics, 2023, o. S. (76 Seiten)
ISBN 978-3-7416-3283-9 / 18 Euro
Großformatiges Hardcover

Im Laufe meines Lebens habe ich schon sehr viele BATMAN-Geschichten gelesen, gute und schlechte, herausragende und ganz nette, ein paar wenige erreichten sogar Weltklasse-Niveau.

Im Laufe meines Lebens habe ich auch schon eine ganze Reihe von Comiczeichnern und Comictextern kommen und gehen sehen, manche in Personalunion, manche im Team – und die meisten vergesse ich schnell wieder.

Dann gibt es alle paar Jahre diesen Moment – ein Comic brennt sich gnadenlos ins Hirn, verlangt nach der vollen Aufmerksamkeit, bringt Saiten zum Schwingen, die lange nicht mehr geklungen haben und ich weiß genau: das ist wieder so ein Autor, so ein Zeichner, den oder die muss ich im Auge behalten.

Mit dem 1978 geborenen US-Amerikaner Tom King ist erneut ein solcher Künstler in mein Leser-Leben getreten. Zuerst habe ich, auf eine Empfehlung hin, die 2020 entstandene Geschichte STRANGE ADVENTURES gelesen; dann folgte Ende 2021 die WATCHMEN-Erweiterung um den einzigartigen RORSCHACH; und jetzt, nachdem ich erfuhr, dass King dafür schon wieder einen Eisner Award gewonnen hat, nahm ich mir BATMAN – ONE BAD DAY: RIDDLER vor.

Das Konzept der ganzen „One Bad Day“-Reihe stammt eigentlich von Alan Moore und seinem Ausflug ins Batman-Universum mit THE KILLING JOKE (1988), in dem er postulierte, dass „ein furchtbarer Tag“ ausreiche, um alles zu ändern. DC hat das nun aufgegriffen und lässt seine besten Autoren und Zeichner jeweils einen der bekanntesten Batman-Gegner in einem Solo-Abenteuer-Album mit dem Dunklen Ritter in den Ring steigen.

Die Idee, für den Einstieg in diese Serie Tom King und Mitch Gerads auf den Riddler anzusetzen erweist sich als Glücksgriff. Was King zu Mr. E. Nigma einfällt, stellt alles auf den Kopf, was Batman-Leser bisher über den Liebhaber mehr oder weniger gelungener oder witziger Fragespiele wussten.

BATMAN – ONE BAD DAY: RIDDLER ist ein sehr brutaler, sehr erwachsener Comic, der zwar im Superhelden-Milieu angesiedelt ist, jedoch viel mehr Wert auf eine stimmige Charakterisierung der Handelnden legt, als auf Gimmicks und Gadgets.

Alle paar Jahre lese ich einen Comic, von dem ich weiß, dass er mir auf lange Zeit im Gedächtnis bleiben wird und den ich guten Gewissens weiterempfehlen kann: BATMAN – ONE BAD DAY: RIDDLER ist solch ein Comic.

Horst Illmer

Tom King (Text) & Mitch Gerads (Bilder)
BATMAN – ONE BAD DAY: RIDDLER
Übersetzung: Ralph Kruhm
(Batman – One Bad Day: The Riddler / 2022)
Stuttgart, Panini Comics, 2023, o. S. (76 Seiten)
ISBN 978-3-7416-3283-9 / 18 Euro
Großformatiges Hardcover

Im Laufe meines Lebens habe ich schon sehr viele BATMAN-Geschichten gelesen, gute und schlechte, herausragende und ganz nette, ein paar wenige erreichten sogar Weltklasse-Niveau.

Im Laufe meines Lebens habe ich auch schon eine ganze Reihe von Comiczeichnern und Comictextern kommen und gehen sehen,

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Tausend Arten von Blau

von am 30. August 2023 Kommentare deaktiviert für Tausend Arten von Blau

Cheon Seon-Ran
TAUSEND ARTEN VON BLAU.
Ü: Jan Henrik Dirks
(A Thousand Blue / 2020)
München, Golkonda, 2023, 366 Seiten
ISBN 978-3-96509-051-4 / 22,00 Euro
Klappenbroschur

Echt jetzt? Ein Pferdebuch? Das ist das Ende!

Na, ganz so schlimm werden die Reaktionen der Leser*innen wohl hoffentlich nicht sein. Also: Vertrauen Sie mir, es hat schon seine Gründe, dass TAUSEND ARTEN VON BLAU hier gewürdigt wird.

Im Korea der 2050er Jahre hat die Entwicklung von neuen, menschenähnlichen Robotern, den sogenannten Humanoiden, zu den erwartbaren Problemen geführt: Reihenweise fallen Jobs im Niedriglohnsektor weg, die durch die angeblich billigeren Maschinen übernommen werden. Dies trifft auch die Schülerin Woo Yeonjae, die sich in einem Schnellimbiss etwas Taschengeld dazuverdient. Nachdem ihr gekündigt wird, erhält sie eine recht großzügige Abfindung, da ihr Chef ein ziemlich schlechtes Gewissen hat. Als sie kurz darauf zur Rennbahn geht, um ihre behinderte Schwester Eunhye zu besuchen, die dort viel Zeit in den Stallungen verbringt, da ihr die Pferde meist lieber sind als Menschen, stolpert Yeonjae im Wortsinn über einen (nach einem Sturz) schrottreifen Roboter-Jockey.

C-27 (oder Koli, wie er dann von Yeonjae genannt wird) gehört zu den speziell für Pferderennen gebauten, ultraleichten Humanoiden, die lediglich dazu da sind, die Rennpferde zu Höchstleistungen zu peitschen. Allerdings wurde Koli durch einen (glücklichen?) Zufall einen Emotions-Chip installiert, was letztlich auch zu seinem Sturz von Today, dem schnellsten Pferd Koreas, führte, da er, statt sich auf das Rennen zu konzentrieren, lieber den Himmel betrachtete und Überlegungen zu dessen Bläue anstellte. Yeonjae überrascht sich selbst und den Stallmeister Minju damit, dass sie ihre gesamte Abfindung in den Kauf des Roboters investiert, um ihn zuhause bei sich wieder instand zu setzen.

Doch Koli ist nicht das einzige »Geschöpf«, das Hilfe braucht: auch Today soll, nachdem sie inzwischen Verschleißerscheinungen zeigt und kaum mehr laufen kann, eingeschläfert werden. Trotz einiger Differenzen zwischen den Schwestern schmieden die beiden gemeinsam mit Koli und ein paar Freundinnen und Verwandten einen Plan zur Rettung von Today. Und der aus Ersatzteilen neu zusammengesetzte Koli entwickelt sich zum planerischen »Mastermind« im Hintergrund.

Einmal abgesehen von der spannend geschriebenen Rettungsgeschichte war es ein ganz spezieller Aspekt von »Tausend Arten von Blau«, der mich fasziniert hat und dazu führte, dass ich das Buch nach dem ersten Kapitel nicht mehr weglegen konnte: die Art und Weise wie Cheon Seon-Ran ihre Protagonistinnen miteinander interagieren lässt. Mit großer Zärtlichkeit und Rücksichtnahme schildert sie, selbst bei Nebenfiguren, deren Motivationen für ihre teilweise sehr ungewöhnlichen und verblüffenden Handlungen.

Ja, TAUSEND ARTEN VON BLAU ist tatsächlich ein Pferdebuch, in dem zwei Mädchen versuchen, das Schicksal eines von Menschen missbrauchten Vierbeiners zu ändern – aber es ist eben auch ein auf hohem literarischen Niveau erzählter Roman darüber, wie schwierig es manchmal ist, selbst mit seinen liebsten Mitmenschen klar zu kommen, sich ihnen zu öffnen und ihre Absichten zu erkennen. Letztlich geht es auch darum herauszufinden, was wir meinen, wenn wir von „Mitleid“ und „Menschlichkeit“ sprechen. Und das allein ist Grund genug, dieses Buch allen empfindsamen Leser*innen ans Herz zu legen.

Horst Illmer

Cheon Seon-Ran
TAUSEND ARTEN VON BLAU.
Ü: Jan Henrik Dirks
(A Thousand Blue / 2020)
München, Golkonda, 2023, 366 Seiten
ISBN 978-3-96509-051-4 / 22,00 Euro
Klappenbroschur

Echt jetzt? Ein Pferdebuch? Das ist das Ende!

Na, ganz so schlimm werden die Reaktionen der Leser*innen wohl hoffentlich nicht sein. Also: Vertrauen Sie mir, es hat schon seine Gründe, dass TAUSEND ARTEN VON BLAU hier gewürdigt wird.

Im Korea der 2050er Jahre hat die Entwicklung von neuen,

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Ferne Horizonte – Entfernte Verwandte

von am 23. August 2023 Kommentare deaktiviert für Ferne Horizonte – Entfernte Verwandte

Hans Jürgen Kugler & René Moreau (Hrsg.)
FERNE HORIZONTE – ENTFERNTE VERWANDTE.
Die Welt in Jahrmillionen.
Illustriert von Gerd Frey, Detlef Klewer, Jan Hoffmann, Uli Bendick, Mario Franke, Michael Böhme, Oliver Engelhard, David Staege und Thomas Thiemeyer
Berlin, Hirnkost, 2023, 370 S.
ISBN 978-3-98857-012-3 / 32,00 Euro
Hardcover

Dieser Science-Fiction-Anthologie, die den Titel FERNE HORIZONTE – ENTFERNTE VERWANDTE trägt und im Hirnkost Verlag erschienen ist, kann man auf ein paar wenigen Zeilen eigentlich gar nicht gerecht werden. Andererseits sollte allein die Aufzählung der beteiligten Künstler ausreichen, um zu zeigen, dass hier die wohl hochkarätigste Text- und Bild-Sammlung der letzten Jahre vorliegt.

Herausgegeben wurde das massive Hardcover von den EXODUS-Machern Hans Jürgen Kugler & René Moreau, weshalb es kaum überrascht, dass unter den 26 Autor*innen und neun Illustratoren der 27 Kurzgeschichten viele alte Bekannte auftauchen: Die Geschichtenerzähler Christian Endres, Aiki Mira, Nicole Rensmann, Angela und Karlheinz Steinmüller, Yvonne Tunnat, Monika Niehaus, Peter Schattschneider und Uwe Hermann (um nur die wichtigsten zu nennen) sind ebenso mit dabei wie die großartigen und höchst unterschiedlichen Bildkünstler Gerd Frey, Detlef Klewer, Jan Hoffmann, Uli Bendick, Mario Franke und Thomas Thiemeyer, von dem auch das Coverbild stammt.

Auf mehr als 370 Seiten zeigen uns viele der derzeit besten deutschsprachige Künstler*innen wie sie sich, laut Untertitel, „Die Welt in Jahrmillionen“ vorstellen. FERNE HORIZONTE – ENTFERNTE VERWANDTE ist eine Originalanthologie deren Texte zum Staunen und (Weiter-)Träumen anregen – und ein ganz heißer Anwärter auf den Titel „Die beste Anthologie des Jahres 2023“.

Horst Illmer

Hans Jürgen Kugler & René Moreau (Hrsg.)
FERNE HORIZONTE – ENTFERNTE VERWANDTE.
Die Welt in Jahrmillionen.
Illustriert von Gerd Frey, Detlef Klewer, Jan Hoffmann, Uli Bendick, Mario Franke, Michael Böhme, Oliver Engelhard, David Staege und Thomas Thiemeyer
Berlin, Hirnkost, 2023, 370 S.
ISBN 978-3-98857-012-3 / 32,00 Euro
Hardcover

Dieser Science-Fiction-Anthologie, die den Titel FERNE HORIZONTE – ENTFERNTE VERWANDTE trägt und im Hirnkost Verlag erschienen ist, kann man auf ein paar wenigen Zeilen eigentlich gar nicht gerecht werden.

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Vision und Verfall

von am 16. August 2023 Kommentare deaktiviert für Vision und Verfall

Hans Frey
VISION UND VERFALL.
Deutsche Science Fiction in der DDR. Von der sowjetischen Besatzungszone bis zum Ende der Deutschen Demokratischen Republik 1945–1990.
Berlin, Memoranda, 2023, 380 Seiten
ISBN 978-3-948616-82-3 / 26,90 Euro
Klappenbroschur

Wer glaubt, die Themen „DDR“ und „Science Fiction“ seien entweder nicht kompatibel oder bereits über Gebühr abgehandelt, befindet sich in beiden Fällen im Irrtum.

Beglaubigt wird dieser Satz durch das Erscheinen von Hans Freys viertem Band seiner fortlaufenden „Geschichte der deutschen Science Fiction“ im Frühsommer 2023, der den Titel VISION UND VERFALL – DEUTSCHE SCIENCE FICTION IN DER DDR trägt und den Zeitraum „Von der sowjetischen Besatzungszone bis zum Ende der Deutschen Demokratischen Republik 1945–1990“ umfasst.

Damit zeigt schon das Titelblatt einen ersten Unterschied im Herangehen: während in der bisherigen Literatur überwiegend von einem vierzig Jahre währenden Zeitraum für das Thema ausgegangen wird, nimmt Frey die Jahre vor der Staatsgründung der DDR sowie die Wende- und Beitrittszeit hinzu, was, mit einigen Unschärfen, dann doch fast fünfzig Jahre sind.

Außerdem verzichtet der Homo politicus Frey nicht darauf, neben den literarischen auch die gesellschaftlichen Aspekte in seine Betrachtungen einer vom Staat wenig geachteten und misstrauisch beäugten, von den Leser*innen aber heiß geliebten Genreliteratur aufzunehmen.

So finden sich auf den gut 400 Seiten von VISION UND VERFALL nicht nur kurze Beschreibungen der wichtigsten Werke der DDR-SF, sondern auch Biografien der (überwiegend männlichen) Autoren und Herausgeber, Zahlen und Daten zu den Verlagen, Blicke über den (ost-)deutschen Tellerrand hinaus, Hinweise auf die dortige Fan-Szene und ihre Publikationen, die Inaugenscheinnahme der nichtliterarischen Medien (Film, Fernsehen, Radio, Comic usw.) und am Ende die Aufzählung einer erstaunlichen Zahl an Ähnlichkeiten mit dem konkurrierenden Bruderstaat – ohne dabei jedoch die tatsächlich vorhandene Eigenständigkeit dieses utopisch-phantastischen „Laborversuchs“ zu übergehen.

Die „DDR“ und ihre „Science Fiction“ waren und sind ein spannendes Thema – und Hans Freys Buch ist ein überaus lesens- und empfehlenswerter Führer hin zu einem besseren Verständnis dieser Literatur.

Horst Illmer

Hans Frey
VISION UND VERFALL.
Deutsche Science Fiction in der DDR. Von der sowjetischen Besatzungszone bis zum Ende der Deutschen Demokratischen Republik 1945–1990.
Berlin, Memoranda, 2023, 380 Seiten
ISBN 978-3-948616-82-3 / 26,90 Euro
Klappenbroschur

Wer glaubt, die Themen „DDR“ und „Science Fiction“ seien entweder nicht kompatibel oder bereits über Gebühr abgehandelt, befindet sich in beiden Fällen im Irrtum.

Beglaubigt wird dieser Satz durch das Erscheinen von Hans Freys viertem Band seiner fortlaufenden „Geschichte der deutschen Science Fiction“ im Frühsommer 2023,

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Der Skandal

von am 9. August 2023 Kommentare deaktiviert für Der Skandal

T. S. Orgel
DER SKANDAL. Ökothriller.
München, Heyne, 2023, 444 Seiten
ISBN 978-3-453-32210-3 / 16,00 Euro
Klappenbroschur

Die Zahl der Menschen auf diesem Planeten steigt immer noch um mehr als 180.000 – täglich! Alle diese Menschen benötigen Nahrung, und mit herkömmlichen Mitteln ist es überaus schwierig, diese Mengen zu erzeugen. Als es der Firma Light Foods gelingt, auf umweltschonende und preiswerte Weise Nahrung im Labor zu erzeugen, scheint das nicht nur ein Lichtstreif am Hunger-Horizont zu sein, sondern auch eine fast unerschöpfliche Möglichkeit zum Geldverdienen. Doch bereits kurz nach der Markteinführung des In-vitro-Fleisches tauchen erste Gerüchte über gefährliche Nebenwirkungen auf. Als es einer Gruppe von Umweltaktivisten gelingt, an geheime Daten von Light Foods zu gelangen, geraten die Dinge außer Kontrolle: Peter, ein Mitglied der Aktivistengruppe wird schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert, der Konzern gerät wegen diverser Internet-Attacken ins Schlingern, der Erfinder des Kunst-Fleisches und Chef von Light Food, Daniel Lichter (aka Dan Light), gerät ins Visier der Polizei – und als er sich mit Anna, Peters Schwester trifft, wird auf die beiden ein Mordanschlag verübt …

Dieses Szenario stammt nicht aus dem (geheimen) Drehbuch des nächsten James Bond- oder Mission Impossible-Blockbusters, sondern bildet das Rückgrat des neuesten Romans von T. S. Orgel, einem Biothriller mit dem knackigen Titel DER SKANDAL.

In ihrem bisher wohl ambitioniertesten Werk zeigen sich die Brüder Tom und Stephan Orgel als engagierte und überaus informierte Kritiker des nahrungsmitteltechnischen Raubtierkapitalismus. Zugleich packen sie ihre Rechercheergebnisse in eine überaus spannende und packende Handlung, geben ihren Protagonist*innen biografische Tiefe und psychologische Glaubwürdigkeit und vermeiden es dabei gekonnt, in die Falle des „wir-wissen-wie-alles-sofort-besser-wird“ zu tappen.

Spannende Lektüre auf internationalem Niveau.

Horst Illmer

T. S. Orgel
DER SKANDAL. Ökothriller.
München, Heyne, 2023, 444 Seiten
ISBN 978-3-453-32210-3 / 16,00 Euro
Klappenbroschur

Die Zahl der Menschen auf diesem Planeten steigt immer noch um mehr als 180.000 – täglich! Alle diese Menschen benötigen Nahrung, und mit herkömmlichen Mitteln ist es überaus schwierig, diese Mengen zu erzeugen. Als es der Firma Light Foods gelingt, auf umweltschonende und preiswerte Weise Nahrung im Labor zu erzeugen, scheint das nicht nur ein Lichtstreif am Hunger-Horizont zu sein,

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De Profundis

von am 31. Juli 2023 Kommentare deaktiviert für De Profundis

Michael Marrak
DE PROFUNDIS. Roman. Band 2.
Berlin, Memoranda, 2023, 376 S.
ISBN 978-3-948616-84-7 / 26,90 Euro

Erst mit dem Erscheinen des zweiten Teils, DE PROFUNDIS, zeigt sich, welch großer und umfangreicher Entwurf der neueste Marrak-Roman tatsächlich ist. Siebenhundert Seiten absolut konzentrierter Schrecken!

Was in LEX TALIONIS noch anfing wie ein Serienmörder-Thriller mit Spuk-Effekten wird mit jeder weiteren Seite ein immer mehr ins Übernatürliche gehender, immer schrecklichere Szenarien hervorbringender Horror-Roman. Allerdings geht es hier natürlich nicht mehr um klassische Gespenster, auch nicht um Zombies oder irgendwelche Ausgeburten der (christlichen) Hölle.

Michael Marrak zeigte ja bereits in einigen seiner frühen Werken eine große Affinität zum lovecraftschen Mythenentwurf eines dem Menschen feindlich gesinnten Universums. Und ohne das an dieser Stelle näher auszuführen (jedes Nacherzählen würde den Sog des Buches empfindlich stören) kann man sagen, dass er in DE PROFUNDIS aus diesen (und einer Reihe weiterer, persönlich erforschter und erlebter) Quellen einen Webrahmen gebastelt hat, auf dem er dann einen Erzählteppich webt, der eine ganz eigene, eben marraksche, Bildkraft und Sprachmacht vereinende, Geschichte hervorbringt.

Was er in LEX TALIONIS begonnen hat, führt Marrak in DE PROFUNDIS zu einem wirklich großen Finale. Und diesmal steht auf der letzten Seite dann auch „Ende“.

Horst Illmer

Michael Marrak
DE PROFUNDIS. Roman. Band 2.
Berlin, Memoranda, 2023, 376 S.
ISBN 978-3-948616-84-7 / 26,90 Euro

Erst mit dem Erscheinen des zweiten Teils, DE PROFUNDIS, zeigt sich, welch großer und umfangreicher Entwurf der neueste Marrak-Roman tatsächlich ist. Siebenhundert Seiten absolut konzentrierter Schrecken!

Was in LEX TALIONIS noch anfing wie ein Serienmörder-Thriller mit Spuk-Effekten wird mit jeder weiteren Seite ein immer mehr ins Übernatürliche gehender, immer schrecklichere Szenarien hervorbringender Horror-Roman. Allerdings geht es hier natürlich nicht mehr um klassische Gespenster,

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Die Känguru Comics

von am 17. Juli 2023 Kommentare deaktiviert für Die Känguru Comics

Marc-Uwe Kling (Text) & Bernd Kissel (Bilder)
DIE KÄNGURU-COMICS.
Band 1: ALSO ICH KÖNNTE DAS BESSER
Hamburg, Carlsen, 2022, 224 S.
ISBN 978-3-551-72828-9 / Hardcover 22,00 Euro

&
Band 2: DU WÜRDEST ES EH NICHT GLAUBEN
Hamburg, Carlsen, 2023, 224 S.
ISBN 978-3-551-73009-1 / Hardcover / 22,00 Euro

Betrachtungen über den Zustand der Zeit anzustellen, führt manchmal zu logischen Brüchen und verwirrenden Ergebnissen. Anders als Mister Spock (zuletzt in STAR TREK: DISCOVERY) gehe ich jedoch davon aus, dass sich am Ende einfach alles in der richtigen Reihenfolge befindet.

Deshalb gibt es hier jetzt zum Erscheinen des zweiten Bandes den Hinweis auf den ersten Band von DIE KÄNGURU-COMICS – ALSO ICH KÖNNTE DAS BESSER, einen von Marc-Uwe Kling geschriebenen und von Bernd Kissel gezeichneten Tages-Strip, der seit Dezember 2020 auf ZEIT-online erscheint und hier bis Dezember 2021 gesammelt als Buch vorliegt. Ähnlich wie damals bei den berühmten PEANUTS-Comicstrips gibt es unter der Woche einfarbige 4-Bilder-Streifen und am Sonntag dann eine Farbseite. Neben dem Känguru und unserem beliebten Kleinkünstler („Ich bin kein Kleinkünstler!“) Marc-Uwe haben sich sehr schnell eine multikulturelle Nachbarsfamilie und, etwas überraschend, die auf unseren Nachbar­planeten ausgewanderten Visionäre „Elon & Jeff on Mars“ etabliert.

Obwohl ich zu Beginn etwas Zweifel hegte, inwieweit sich die Geschichten um das tierisch-menschliche Dream-Team von Buch und Hörbuch ins Comic übertragen lassen, wusste ich bereits nach wenigen Seiten, dass es weit besser klappt, als daraus einen Realfilm zu machen.

Und so habe ich, aufs Höchste amüsiert, diesen ersten Band genossen, der in seiner haptischen Form weit mehr enthält als einfach nur „gedruckte Internetseiten“. Die Entwicklung im Storytelling und in der bildhaften Gestaltung sind viel besser/einfacher nachzuvollziehen, die zeitliche Zuordnung nach über zwei Jahren fällt erheblich leichter und übers Inhaltsverzeichnis Themenschwerpunkte raussuchen ist jetzt auch möglich.

Das gilt natürlich ebenso für Band 2: DIE KÄNGURU-COMICS – DU WÜRDEST ES EH NICHT GLAUBEN, der die Strips von Januar 2022 bis Februar 2023 enthält (inklusive exklusivem Bonusmaterial) und sehr schön zeigt, dass Autor und Zeichner inzwischen ein eingespieltes Team sind, dass die Grenzen dieses Formats spielerisch ausweitet.

Gefahrenhinweis: Diese Comics können süchtig machen.

Horst Illmer

Marc-Uwe Kling (Text) & Bernd Kissel (Bilder)
DIE KÄNGURU-COMICS.
Band 1: ALSO ICH KÖNNTE DAS BESSER
Hamburg, Carlsen, 2022, 224 S.
ISBN 978-3-551-72828-9 / Hardcover 22,00 Euro

&
Band 2: DU WÜRDEST ES EH NICHT GLAUBEN
Hamburg, Carlsen, 2023, 224 S.
ISBN 978-3-551-73009-1 / Hardcover / 22,00 Euro

Betrachtungen über den Zustand der Zeit anzustellen, führt manchmal zu logischen Brüchen und verwirrenden Ergebnissen. Anders als Mister Spock (zuletzt in STAR TREK: DISCOVERY) gehe ich jedoch davon aus,

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Die Gelehrtenrepublik

von am 10. Juli 2023 Kommentare deaktiviert für Die Gelehrtenrepublik

Arno Schmidt
DIE GELEHRTENREPUBLIK. Kurzroman aus den Roßbreiten.
Berlin & Bargfeld, Suhrkamp, 2023, 176 S.
Suhrkamp Taschenbuch st5333
ISBN 978-3-518-47333-7 / 16,- Euro

Nachdem ich zu Weihnachten 2022 die „Luxus“-Version dieses Buches als Geschenk für „Leute, die schon alles haben“ empfohlen habe, hat sich jetzt Suhrkamp erbarmt und den Text in einer sehr gut lesbaren (und viel preiswerteren) Ausgabe zugänglich gemacht. Deshalb soll das lustigste und wohl am einfachsten zugängliche Science-Fiction-Buch Schmidts hier ausdrücklich nochmals vorgestellt und angepriesen werden.

Arno Schmidts bereits 1957 geschriebener Kurzroman DIE GELEHRTENREPUBLIK spielt in einer glücklicherweise fiktiv gebliebenen Zukunft, nach einem Atomkrieg, der weite Teile der Welt unbewohnbar gemacht hat, und erzählt aus der Sicht des Journalisten Charles Henry Winer von dessen Weg zur und seinen Erfahrungen auf der IRAS – der „International Republic for Artists and Scientists“ –, einem riesigen, inselförmigen Kreuzfahrt-Schiff, dass die von Schmidt weitergesponnene politische Weltlage des Jahres 2008 im Kleinen spiegelt.

Nach dem verheerenden Krieg hat sich die überlebende Menschheit, unter der Führung der USA und Russlands, darauf geeinigt, ein „neutrales“ Refugium für Kunst und Wissenschaften zu errichten, um weitere kriegsbedingte Verluste von Kunstwerken und Wissen zu vermeiden. Diese „Gelehrtenrepublik“, ein gigantisches Schiff von mehr als fünf Kilometern Länge (eine „Risszeichnung“ des Autors ist im Buch enthalten), kreuzt in den windstillen Bereichen der Weltmeere und dient einer (von ihren jeweiligen Regierungen) ausgewählten internationalen Schar von Künstlern und Wissenschaftlern als Heimat. Winer wurde aus Gründen der Propaganda ausgewählt, die sonst für die Öffentlichkeit unzugängliche IRAS zu besuchen und quasi eine „Homestory“ darüber zu schreiben.

Winers Abenteuer beginnen schon während der Anreise, die offensichtlich sabotiert werden soll. Nur durch Zufall und die tätige Mithilfe von zu Zentauren mutierten Mischwesen überlebt er den Marsch durch eine von gefährlichen Mutanten bewohnten Landschaft inmitten der zweigeteilten USA. Glücklich auf dem Schiff angelangt, gerät Winer erneut zwischen die Fronten der Machtblöcke, die sich dort auf der Steuerbord- und Backbordseite gebildet haben. Er soll als Vermittler fungieren, erhält dadurch Zugang zu geheimen Bereichen der jeweiligen Schiffs-Hälften und erkennt schnell, dass hier nicht Kunst und Wissenschaft, sondern die Politiker und Geheimdienste das Sagen haben. Trotz seines aufopferungsvollen Einsatzes (auch in diversen Betten auf beiden Seiten) scheitert seine Mission.

Schmidts Schlussbild einer immer schneller um die eigene Achse kreiselnden Insel ist sowohl eine Reminiszenz an Jules Verne (dessen Roman DIE PROPELLERINSEL von 1895 für viele Details Pate stand) als auch ein resigniertes Eingeständnis seines Unglaubens an die „Erkenntnisfähigkeit“ oder den Willen zur Veränderung beim „Homo Politicus“.

DIE GELEHRTENREPUBLIK gehört auch 65 Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung immer noch zu den kompaktesten, originellsten und humorvollsten Science-Fiction-Texten der deutschsprachigen Literatur. Ein Buch, dessen Lektüre die Augen öffnet, den Geist bereichert und das Zwerchfell vibrieren lässt.

Horst Illmer

Arno Schmidt
DIE GELEHRTENREPUBLIK. Kurzroman aus den Roßbreiten.
Berlin & Bargfeld, Suhrkamp, 2023, 176 S.
Suhrkamp Taschenbuch st5333
ISBN 978-3-518-47333-7 / 16,- Euro

Nachdem ich zu Weihnachten 2022 die „Luxus“-Version dieses Buches als Geschenk für „Leute, die schon alles haben“ empfohlen habe, hat sich jetzt Suhrkamp erbarmt und den Text in einer sehr gut lesbaren (und viel preiswerteren) Ausgabe zugänglich gemacht. Deshalb soll das lustigste und wohl am einfachsten zugängliche Science-Fiction-Buch Schmidts hier ausdrücklich nochmals vorgestellt und angepriesen werden.

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Die letzte Erzählerin

von am 5. Juli 2023 Kommentare deaktiviert für Die letzte Erzählerin

Donna Barba Higuera
DIE LETZTE ERZÄHLERIN.
Ü: Jennifer Michalski
(THE LAST CUENTISTA / 2021)
Hamburg, Dragonfly, 2023, 320 S.
ISBN 978-3-7488-0239-6 / 16,00 Euro
Hardcover

Immer wieder passiert es mir, dass ich ein Buch kaufe, dessen äußeres Erscheinungsbild für mich einfach unwiderstehlich ist – und sehr häufig steckt dann auch ein überaus lesenswerter Text in der schönen „Schale“. Gerade wieder geschehen bei: DIE LETZTE ERZÄHLERIN von Donna Barba Higuera.

Auf den ersten Blick wirkt es eher wie ein Märchenbuch oder ein All-Age-Fantasy-Titel; der Einband liebevoll illustriert in blau und orange, dreiseitiger Farbschnitt und Lesebändchen in passendem Orangeton, ein Vorsatzpapier zum Dahinschmelzen und, alles in allem, ein haptisches Meisterwerk. Und dann steckt da eine knallharte Science-Fiction-Story drin, ein geradezu klassischer Generationen-Raumschiff-Roman (und wie sollte gerade ich da nicht begeistert sein!).

Ein Komet rast auf die Erde zu, da trifft es sich prima, dass ein privater Konzern gerade drei interstellare Luxus-Raumschiffe in Betrieb stellen will. Die Regierung übernimmt, wählt aus, wer auf die Reise gehen soll, und schickt eine buntgemischte Gesellschaft los, die nach 380 Jahren Flug die menschliche Zivilisation auf einem fernen Planeten erneuern soll. Doch schon beim Start explodiert eines der Schiffe – alles ändert sich, alle Pläne sind hinfällig. Die Reisenden (unter ihnen die Ich-Erzählerin Petra, deren besondere Begabung dereinst noch eine letzte Chance eröffnen wird) müssen sich neu orientieren…

Higuera wuchs in der zentralkalifornischen Wüste auf, las viel und spitzte die Ohren, wann immer irgendwo Geschichten erzählt wurden. Sie ist verheiratet, hat Kinder und lebt mit ihrer Familie inzwischen im Nordwesten der USA. Sie schreibt Kinder- und Jugendbücher und erhielt 2022 für THE LAST CUENTISTA die prestigeträchtige Newbery Medal sowie Lobpreisungen aus allen Richtungen. Die deutsche Ausgabe DIE LETZTE ERZÄHLERIN erschien in der Übersetzung von Jennifer Michalski bei Dragonfly – und es steckt tatsächlich ein märchenhafter All-Age-Science-Fiction-Roman in diesem wunderschönen Buch.

Horst Illmer

Donna Barba Higuera
DIE LETZTE ERZÄHLERIN.
Ü: Jennifer Michalski
(THE LAST CUENTISTA / 2021)
Hamburg, Dragonfly, 2023, 320 S.
ISBN 978-3-7488-0239-6 / 16,00 Euro
Hardcover

Immer wieder passiert es mir, dass ich ein Buch kaufe, dessen äußeres Erscheinungsbild für mich einfach unwiderstehlich ist – und sehr häufig steckt dann auch ein überaus lesenswerter Text in der schönen „Schale“. Gerade wieder geschehen bei: DIE LETZTE ERZÄHLERIN von Donna Barba Higuera.

Auf den ersten Blick wirkt es eher wie ein Märchenbuch oder ein All-Age-Fantasy-Titel;

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Straße nach überallhin

von am 12. Juni 2023 2 Kommentare

Roger Zelazny
STRASSE NACH ÜBERALLHIN. Roman.
Ü: Jakob Schmidt, Nachwort: Uwe Anton
(ROADMARKS / 1979)
München, Piper, 2023, 252 S.
ISBN 978-3-492-70636-0 / 22,00 Euro
Hardcover

Der Ausstoß an Science Fiction bei Piper ist, verglichen mit dem weit umfangreicheren Fantasy-Programm, sehr überschaubar. Allerdings: wenn dann mal ein Titel erscheint, ist es zumeist ein echter Klassiker oder auch ein richtiger Kracher (manchmal auch beides zugleich) wie im Fall von Roger Zelaznys Roman STRASSE NACH ÜBERALLHIN. Der US-Amerikaner Roger Zelazny (1937–1995) gehörte eine Zeitlang zu den profiliertesten und experimentierfreudigsten Autoren der New Wave, gleichermaßen versiert in Fantasy und Science Fiction, in Stories, Novellen und Romanen, und oftmals auch sehr am jeweiligen Zeitgeist orientiert. Erst langsam kristallisieren sich seine Hauptwerke heraus, Texte, die auch heute noch hervorragend zu lesen sind, interessante Ideen präsentieren und stilistisch immer weit über dem Genre-Durchschnitt liegen. Neben den AMBER-Romanen (die kürzlich bei Klett Cotta neu aufgelegt wurden) gehört eindeutig auch ROADMARKS (so der Originaltitel der 1979 erstmals erschienenen STRASSE NACH ÜBERALLHIN) in die Gattung „zeitloser Klassiker“.

Der Protagonist Red Dorakeen gehört zu den besonders begabten Menschen, die in der Lage sind, die „Straße“ zu benutzen. Dabei handelt es sich um einen Weg durch alle Zeiten und in Alternativwelten, die über die „Ausfahrten“ erreichbar sind (das amerikanische Highway-System ist eindeutig das Vorbild dieses Plots) und der sich – aufgrund von Veränderungen historischer Ereignisse durch die Besucher – in stetiger Veränderung befindet. Dorakeen ist zwar ein erfahrener Benutzer der Straße, hat sich aber auch Feinde gemacht und ist deshalb auf der Flucht vor einer ganzen Schar Auftragsmörder. Neben seiner eigenen Gewitztheit stehen ihm im Verlauf der Handlung (die aus einem linearen und einem „zusammengewürfelten“ Strang zusammengesetzt ist) allerdings auch einige Gefährten zur Seite – darunter einer der bemerkenswertesten Sidekicks der Literatur: eine mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Buchausgabe von LES FLEURS DU MAL (Charles Baudelaires skandalträchtiger Gedichtband DIE BLUMEN DES BÖSEN)!

Die von Jakob Schmidt neu aus dem amerikanischen Englisch übersetzte und von Uwe Anton mit einem informativen Nachwort versehene Neuausgabe der STRASSE NACH ÜBERALLHIN erweist sich als unbedingt lesenswerte Zeitreise-Science-Fiction – und niemand sollte sich wundern, wenn daraus in absehbarer Zeit eine echt geile TV-Serie wird.

Horst Illmer

Roger Zelazny
STRASSE NACH ÜBERALLHIN. Roman.
Ü: Jakob Schmidt, Nachwort: Uwe Anton
(ROADMARKS / 1979)
München, Piper, 2023, 252 S.
ISBN 978-3-492-70636-0 / 22,00 Euro
Hardcover

Der Ausstoß an Science Fiction bei Piper ist, verglichen mit dem weit umfangreicheren Fantasy-Programm, sehr überschaubar. Allerdings: wenn dann mal ein Titel erscheint, ist es zumeist ein echter Klassiker oder auch ein richtiger Kracher (manchmal auch beides zugleich) wie im Fall von Roger Zelaznys Roman STRASSE NACH ÜBERALLHIN.

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Meist beginnt es mit Ayn Rand

von am 5. Juni 2023 Kommentare deaktiviert für Meist beginnt es mit Ayn Rand

Jerome Tuccille
MEIST BEGINNT ES MIT AYN RAND. Libertäre Geschichte(n).
Überarbeitete und aktualisierte Ausgabe.
Ü: Cornelia Kähler
(It Usually Begins With Ayn Rand / 1971 & 2012)
Grevenbroich, Lichtschlag, 2016, 308 S.
ISBN 978-3-939562-53-5 / 18.90 Euro

Um es gleich vorweg zu nehmen: Der Titel dieses Buches ist ebenso falsch wie genial. Er dient offensichtlich einzig dem Zweck, Bücherwürmer wie mich anzulocken und auf den Haken zu spießen, von dem wir dann nicht mehr loskommen.

Es handelt sich bei MEIST BEGINNT ES MIT AYN RAND um ein Sachbuch, in dem der US-amerikanische Autor und libertäre Politiker Jerome Tuccille von seinem Leben als Zoon politikon berichtet – und der Anteil, den Ayn Rand daran hat, ist vergleichsweise bescheiden und überschaubar, obwohl sie (wie ein Stehaufteufelchen) an den unmöglichsten Stellen immer wieder kurz auftaucht.

Wer also nur etwas über die Erfinderin des Objektivismus und Autorin höchst einflussreicher Bücher erfahren will, kann an dieser Stelle aussteigen.

Für alle anderen lohnt es sich vielleicht, noch ein paar Zeilen weiterzulesen, denn Jerome Tuccille gehört zu einer sehr seltenen Spezies – er ist ein hochintelligent und unterhaltsam schreibender Mensch, der seinen Lebensweg mit viel Selbstironie betrachtet und dabei nicht nur Einblicke in das Innere der amerikanischen Politik gibt, sondern meinungsstarke Urteile über eine ganze Reihe von (linken wie rechten) Anhängern und Vertretern dieses Systems vertritt, in dem er über viele Jahrzehnte selbst mitgemischt hat.

Der 1937 geborene Tuccille kam als Student über Romane wie ATLAS SHRUGGED und THE FOUNTAINHEAD in Ayn Rands Bannkreis, lernte die Philosophin selbst kennen, gehörte kurz zu ihrem inneren Zirkel und verließ diesen dann wieder, abgestoßen von Rands absolutistischen Ansprüchen und ihrer Humorlosigkeit. Obwohl zeitlebens ein Libertärer, versuchte Tuccille immer wieder, die extremen Ränder der amerikanischen Rechten und Linken miteinander ins Gespräch zu bringen und über alles Trennende hinweg Gemeinsamkeiten zu finden. Dieses Ausgleichende, Vermittelnde, und dabei immer neugierig Suchende, brachte ihn dazu, sich 1974 als libertärer Kandidat für den New Yorker Gouverneursposten aufstellen zu lassen, was gründlich schief ging. Danach verdiente er sein Geld als Autor von Ratgebern, Sachbüchern und Romanen.

Neben dem hier vorliegenden autofiktionalen Bestseller MEIST BEGINNT ES MIT AYN RAND schrieb Tuccille eine Reihe von sehr erfolgreichen Biografien, unter anderem über die Texanische Hunt-Dynastie, den Notenbank-Chef Alan Greenspan (dessen Anhänglichkeit an Ayn Rands Ideale bereits im großartigen Titel ALAN SHRUGGED offenbart werden), den Zeitungsmogul Rupert Murdoch, über Ernest Hemingway und Martha Gelhorn, sowie, bereits 1985, über Donald Trump. Bis zu seinem Tod 2017 veröffentlichte Tuccille mehr als dreißig Titel, größtenteils Bestseller in den Vereinigten Staaten, von denen es jedoch nur die Biografien von Trump, Hunt und Murdoch schafften, ins Deutsche übersetzt zu werden.

Und nun also endlich MEIST BEGINNT ES MIT AYN RAND, dessen Lektüre mir, neben einigen erschütternden Einblicken in die Psyche US-amerikanischer Präsidenten, vor allem eine durchgehend vergnügliche Zeit mit einem wunderbaren Plauderer bescherte.
Ein Sachbuch mit sehr hohem Unterhaltungswert – ein „guter Fang“ für einen Bücherwurm.

Horst Illmer

Jerome Tuccille
MEIST BEGINNT ES MIT AYN RAND. Libertäre Geschichte(n).
Überarbeitete und aktualisierte Ausgabe.
Ü: Cornelia Kähler
(It Usually Begins With Ayn Rand / 1971 & 2012)
Grevenbroich, Lichtschlag, 2016, 308 S.
ISBN 978-3-939562-53-5 / 18.90 Euro

Um es gleich vorweg zu nehmen: Der Titel dieses Buches ist ebenso falsch wie genial. Er dient offensichtlich einzig dem Zweck, Bücherwürmer wie mich anzulocken und auf den Haken zu spießen, von dem wir dann nicht mehr loskommen.

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Der schlauste Mann der Welt

von am 29. Mai 2023 1 Kommentar

Andreas Eschbach
DER SCHLAUSTE MANN DER WELT. Roman
Köln, Lübbe, 2023, 222 S.
ISBN 978-3-7857-2849-9
Hardcover / 22,00 Euro

Jens Leunich, der „Held“ im neuen Buch von Andreas Eschbach, ist mit Sicherheit nicht „der Schlauste Mann der Welt“, aber in der Kategorie „Größtmöglicher Glückspilz“ gebührt ihm schon einer der Spitzenplätze. Am Ende allerdings …

Doch wir wollen ja nicht vorgreifen, gerade die Romane Eschbachs vertragen es oftmals gar nicht, wenn zu viel vom Inhalt bekannt ist. Darum hier nur eine oberflächliche Inhaltsangabe: Einem jungen Mann widerfahren in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts einige bemerkenswerte Dinge, die ihn letztlich in die Lage versetzen, sein weiteres Leben ohne „Arbeit“ oder ähnliche Tätigkeiten zu verbringen, was er ausführlich und eloquent zu begründen weiß. Dabei keimt im Hintergrund allerdings immer mehr der Verdacht, dass es sich um einen sehr „unzuverlässigen Erzähler“ handelt, der in DER SCHLAUSTE MANN DER WELT das Sagen hat …

Für mich kam Eschbachs Roman zufällig genau in eine Phase, in der ich mich gerade wieder einmal mit Ayn Rand und ihrer Vision eines „egoistischen Kapitalismus“ (literarisch geformt in ihrem Opus Magnum ATLAS SHRUGGED) beschäftigt hatte. Kurz vor Eschbach hatte ich die Lektüre von Jerome Tuccilles Erinnerungsbuch MEIST BEGINNT ES MIT AYN RAND beendet – und da passte DER SCHLAUSTE MANN DER WELT wie die Faust aufs berühmte Auge.

(Erlaubt sei mir hier eine kleine Abschweifung – Harry Rowohlt möge es mir verzeihen – zu einigen anderen Büchern Eschbachs: Geld und der Umgang damit gehören zu den wiederkehrenden Themen des Autors, zuletzt in FREIHEITSGELD, wo das „bedingungslose Grundeinkommen“ unter die Lupe genommen wird, zuvor, 2004, in der Anthologie EINE TRILLION EURO und – natürlich – in EINE BILLION DOLLAR aus dem Jahr 2001. Und ich scheue mich nicht, dieses Werk als meine „Nemesis“ im Eschbach-Kanon zu bezeichnen, hat mir der gute Andreas doch durch ein unfassbar schlechtes Ende den Genuss der vorherigen 900 Seiten ordentlich verdorben. Was uns zurückbringt zum vorliegenden Buch.)

DER SCHLAUSTE MANN DER WELT entwickelte sich vor diesem Hintergrund für mich zum philosophischen Bindeglied zwischen Ayn Rands Ideen und den, wie immer bei Eschbach, herausragend recherchierten Ausführungen über den weltweiten Finanzkapitalismus und seine Schwachpunkte. Ich habe keine Ahnung, ob Eschbach Ayn Rand überhaupt kennt, bzw. ihre Bücher gelesen hat, aber Jens Leunich agiert durchgängig wie ein bewusst angelegter Gegenpart zu Rands sprichwörtlich gewordenem John Galt.
(Mehr dazu würde viele Seiten füllen, deshalb breche ich hier ab. Lest doch einfach selbst.)
Und das Ende hat Andreas Eschbach diesmal auch so hinbekommen, dass ich nix dran auszusetzen habe.

Horst Illmer

Andreas Eschbach
DER SCHLAUSTE MANN DER WELT. Roman
Köln, Lübbe, 2023, 222 S.
ISBN 978-3-7857-2849-9
Hardcover / 22,00 Euro

Jens Leunich, der „Held“ im neuen Buch von Andreas Eschbach, ist mit Sicherheit nicht „der Schlauste Mann der Welt“, aber in der Kategorie „Größtmöglicher Glückspilz“ gebührt ihm schon einer der Spitzenplätze. Am Ende allerdings …

Doch wir wollen ja nicht vorgreifen, gerade die Romane Eschbachs vertragen es oftmals gar nicht, wenn zu viel vom Inhalt bekannt ist.

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Babel

von am 22. Mai 2023 Kommentare deaktiviert für Babel

R. F. Kuang
BABEL. Roman.
Ü: Heide Franck und Alexandra Jordan
(BABEL: OR THE NECESSITY OF VIOLENCE. AN ARCANE HISTORY OF THE OXFORD TRANSLATORS' REVOLUTION / 2022)
Köln, Eichborn, 2023, 733 S. / 26,00 Euro
ISBN 978-3-8479-0143-3
Hardcover mit Lesebändchen

Wenn sich englische, amerikanische und deutsche Literaturkritiker*innen durchgängig einig sind und den Urban-Fantasy-Roman einer noch vergleichsweise neuen Autorin über den grünen Klee loben, dann schaue ich gerne einmal genauer hin, denn solche Urteilsüberschneidungen sind tatsächlich viel seltener als man denkt.

Geschehen ist dies jetzt wieder bei BABEL von Rebecca F. Kuang, einer chinesisch-amerikanischen Geisteswissenschaftlerin, die seit 2018 schreibt und inzwischen fünf Romane veröffentlicht hat. Bereits für ihre THE POPPY WAR-Trilogie (auf Deutsch bei Blanvalet unter dem Serientitel IM ZEICHEN DER MOHNBLUME erschienen) erhielt sie viel Lob und war für fast alle Fantastik-Preise nominiert. Während Kuang dort aber über ein fiktives China mit Fantasy-Einschlag schreibt, steht in BABEL das englische Städtchen Oxford um 1830 im Mittelpunkt des 730-Seiten-Schmökers. Allerdings gibt es einige Unterschiede zwischen dem uns bekannten Geschichtsverlauf und der Alternativfassung bei Kuang. So beherrscht das Britische Empire die Welt nicht nur mit überlegener Strategie und besseren Waffen, sondern auch, weil in Oxford das „Königliche Institut für Übersetzungen“ existiert. Es hat seinen Sitz in einem turmartigen Gebäude, das allgemein als „Babel“ bekannt ist – und man lehrt dort nicht nur Sprachen, sondern auch Silbermagie!

In diesem Setting sollen nun vier neue Schüler*innen in die Geheimnisse von Babel eingeweiht werden, dort das Übersetzen und Zaubern lernen und mit ihren Fähigkeiten und ihrem Wissen die Macht des Empire vergrößern und seinen Reichtum mehren – allerdings sind Robin, Ramy, Letty und Victoire außergewöhnlich begabte junge Menschen und ihre Vorstellungen von Recht und Ordnung andere als die ihrer Lehrer und Förderer. Das führt zu Konflikten, deren Tragweite das ganze Weltreich erschüttern …

Das monumentale Werk von Kuang war sicherlich (auch wegen der vielen darin verwendeten Sprachen und der zitierten Originalwerke) eine Herausforderung für die Übersetzerinnen Heide Franck und Alexandra Jordan. Zudem hat Kuang nicht nur in den USA und China gelebt, sondern auch einige Zeit in Oxford studiert, was die Anforderungen nochmals erhöht haben dürfte. Trotzdem ist BABEL wunderbar flüssig zu lesen. Als kleiner Wermutstropfen bleibt einzig, dass der Originaltitel des Buches auf ein einziges Wort verkürzt wurde, lautete er doch in aller epischen Anschaulichkeit BABEL: OR THE NECESSITY OF VIOLENCE. AN ARCANE HISTORY OF THE OXFORD TRANSLATORS' REVOLUTION.

Horst Illmer

R. F. Kuang
BABEL. Roman.
Ü: Heide Franck und Alexandra Jordan
(BABEL: OR THE NECESSITY OF VIOLENCE. AN ARCANE HISTORY OF THE OXFORD TRANSLATORS' REVOLUTION / 2022)
Köln, Eichborn, 2023, 733 S. / 26,00 Euro
ISBN 978-3-8479-0143-3
Hardcover mit Lesebändchen

Wenn sich englische, amerikanische und deutsche Literaturkritiker*innen durchgängig einig sind und den Urban-Fantasy-Roman einer noch vergleichsweise neuen Autorin über den grünen Klee loben, dann schaue ich gerne einmal genauer hin, denn solche Urteilsüberschneidungen sind tatsächlich viel seltener als man denkt.

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Gameshow – Der Preis der Gier

von am 15. Mai 2023 Kommentare deaktiviert für Gameshow – Der Preis der Gier

Franzi Kopka
GAMESHOW – DER PREIS DER GIER. Roman.
Frankfurt, Sauerländer, 2023, 440 S.
ISBN 978-3-7373-5947-4 / 18,00 Euro
Hardcover

Romane, in denen die Mitspieler einer weltweit ausgestrahlten TV-Show um ihr Leben kämpfen müssen, sind inzwischen ja schon fast ein eigenes Genre im Bereich der Science Fiction. Angefangen beim legendären MILLIONENSPIEL aus dem Jahr 1970 über den RUNNING MAN-Blockbuster bis hin zu den TRIBUTEN VON PANEM (2012–2015).

Und wie es bei solchen Dingen halt so ist: das Publikum will immer mehr. Am Leid der Anderen sieht sich einfach niemand satt.

Nach dem mit dem Kurd Laßwitz Preis prämierten Roman NEONGRAU von Aiki Mira aus dem letzten Jahr ist zum Jahresbeginn 2023 bei Sauerländer nun der Debütroman GAMESHOW – DER PREIS DER GIER der 1990 geborenen Rheinländerin Franzi Kopka erschienen. Einhundert Jahre in der Zukunft scheint sich das Leben der meisten Bewohner von New London nur noch um die „Gameshow“ zu drehen: entweder schaut man zu und fiebert mit (allerdings mehr um die eigenen Wetteinsätze als um das Überleben der Teilnehmer) – oder man versucht, es selbst in die Show zu schaffen. Denn ein Sieg dort gilt gleichzeitig als Ticket zum Aufstieg in die Welt der Reichen und Mächtigen. Auf über 400 Seiten zieht Kopka ihre Leser*innen immer tiefer in die Welt von Cass und Jax, die einen Pakt geschlossen haben, um die nächste „Gameshow“ als Siegerpärchen zu gewinnen. Allerdings: die Regeln werden von anderen gemacht – und für die Veranstalter zählt allein die Quote …

Da der Roman mit einem brutalen cliffhanger endet, erfreut es uns, dass die Fortsetzung GAMESHOW – DAS VERSPRECHEN VON GLÜCK bereits für den Herbst 2023 angekündigt ist.

Horst Illmer

Franzi Kopka
GAMESHOW – DER PREIS DER GIER. Roman.
Frankfurt, Sauerländer, 2023, 440 S.
ISBN 978-3-7373-5947-4 / 18,00 Euro
Hardcover

Romane, in denen die Mitspieler einer weltweit ausgestrahlten TV-Show um ihr Leben kämpfen müssen, sind inzwischen ja schon fast ein eigenes Genre im Bereich der Science Fiction. Angefangen beim legendären MILLIONENSPIEL aus dem Jahr 1970 über den RUNNING MAN-Blockbuster bis hin zu den TRIBUTEN VON PANEM (2012–2015).

Und wie es bei solchen Dingen halt so ist: das Publikum will immer mehr.

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Der Vagabund der Unendlichkeit

von am 10. Mai 2023 Kommentare deaktiviert für Der Vagabund der Unendlichkeit

Julio Ribera (Bilder) & Christian Godard (Text)
DER VAGABUND DER UNENDLICHKEIT. Integral-Ausgabe.
Band 1 – ZUM UNMÖGLICHEN STERN.
Übersetzung: Klaus Jöken; Kommentar: Peter Nover
(Le Vagabond des Limbes, Band 1 bis 4, 1975–1979)
Leipzig, Kult Comics, 2023, 232 S.
ISBN 978-3-96430-270-0 / 39,00 Euro
Hardcover

Gut zwanzig Jahre nach dem Ende der Comic-Reihe LE VAGABOND DES LIMBES (und nur zwei Jahre nach meinem in der phantastisch! 81 im Januar 2021 formulierten Wunsch nach einer deutschen Komplett-Ausgabe) gibt es für die Anhänger dieser in Deutschland bisher unter dem Serientitel DIE VAGABUNDEN DER UNENDLICHKEIT schändlich misshandelten Geschichte ein Happy End! Der Leipziger Verlag Kult Comics bringt ab sofort eine „Integral“-Ausgabe von DER VAGABUND DER UNENDLICHKEIT in acht großformatigen Hardcoverbänden heraus.

Band 1 ZUM UNMÖGLICHEN STERN ist bereits erschienen und beinhaltet die Alben 1 bis 4 der Originalserie die zwischen 1975 und 1979 erschienen sind. Dazu gibt es ein Vorwort von Reihenredakteur Peter Nover und zu jedem Abenteuer umfangreiche Anmerkungen mit jeder Menge exklusivem Bildmaterial. Die beiden Schöpfer der Kult-Serie waren der spanische Zeichner Julio Ribera (1927–2018), der 1954 nach Frankreich ging und dort 1975 gemeinsam mit dem 1932 geborenen französischen Texter Christian Godard das Science-Fiction-Abenteuer LE VAGABOND DES LIMBES aus der Taufe hob. Nach mehr als fünfundzwanzig Jahren und dreißig Bänden, in denen Axle Munshine seiner Traum-Liebe Shimere quer durch die Galaxis und alle vorstellbaren Dimensionen nachgejagt war, fand seine Suche 2003 in Band 31 einen zufriedenstellenden und doch überraschenden Abschluss.

Neben der normalen gibt es bei Kult Comics auch eine Vorzugs-Ausgabe (99 Exemplare) mit einem von Godard signierten Ex Libris und einem Variant-Cover.

Unverzichtbar!

Horst Illmer

Julio Ribera (Bilder) & Christian Godard (Text)
DER VAGABUND DER UNENDLICHKEIT. Integral-Ausgabe.
Band 1 – ZUM UNMÖGLICHEN STERN.
Übersetzung: Klaus Jöken; Kommentar: Peter Nover
(Le Vagabond des Limbes, Band 1 bis 4, 1975–1979)
Leipzig, Kult Comics, 2023, 232 S.
ISBN 978-3-96430-270-0 / 39,00 Euro
Hardcover

Gut zwanzig Jahre nach dem Ende der Comic-Reihe LE VAGABOND DES LIMBES (und nur zwei Jahre nach meinem in der phantastisch! 81 im Januar 2021 formulierten Wunsch nach einer deutschen Komplett-Ausgabe) gibt es für die Anhänger dieser in Deutschland bisher unter dem Serientitel DIE VAGABUNDEN DER UNENDLICHKEIT schändlich misshandelten Geschichte ein Happy End!

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Der freie Mensch

von am 8. Mai 2023 Kommentare deaktiviert für Der freie Mensch

GerdHorst schreibt viele Rezis für unsere Seite und trägt damit zur Vielfalt und Diversität bei. Wie jeder unserer Autoren hat er einen ganz eigenen und subjektiven Blick auf die Szene. Dieser einzigartige Blickwinkel steht ab und an ein wenig außerhalb meines eigenen Horizontes. Ich selbst bin natürlich außer Fanboy auch noch Verkäufer und Ladeninhaber. Deswegen gibt es ab und an auch Bücher, die mir weniger munden, weil Beispielsweise die Konditionen sehr schlecht sind, das Werk nicht mehr lieferbar oder im niedergelassenen Buchhandel nicht zu bestellen ist. Ich habe "Atlas Shrugged" in der letzten lieferbaren Version gelesen und erkenne den Stellenwert dieses Werkes an, auch wenn ich selbst eine komplett andere Perspektive habe. Man muss das Werk sicherlich im Kontext des Zeitgeschehens betrachten und die Vorgeschichte der Autorin in die Rezeption einbeziehen. Dass es bis heute vor allem in den Staaten zu den Standartwerken gezählt wird ist mir völlig unverständlich.

Bei der aktuellen, von Horst rezensierten Ausgabe muss ich unbedingt darauf hinweisen, dass die Beschaffung auf regulären Buchhandelswegen nicht möglich ist. Wenn ihr diese Version also käuflich erwerben wollt und das bei uns im Laden tun wollt, dann müsst ihr sehr lange Lieferfristen einplanen. Sorry, aber das ist leider so.

Ayn Rand
DER FREIE MENSCH.
(Atlas Shrugged / 1957)
Ü: Michael & Thomas Görden
Müncheberg, thinkum Verlag, 2021, 1487 S.
ISBN 978-3-949522-00-0 / 59,99 EURO

Frühere deutsche Titel:
ATLAS WIRFT DIE WELT AB / WER IST JOHN GALT? / DER STREIK

Die amerikanische Philosophin und Autorin Ayn Rand (1905–1982) gehört in den USA zu den einflussreichsten Gestalten im Geistesleben des 20. und 21. Jahrhunderts. Die meisten ihrer Werke erschienen auch in Deutschland, fanden hier jedoch nur wenig Zuspruch. Leider war auch ihr Hauptwerk, der utopische Roman ATLAS SHRUGGED, trotz mehrerer Auflagen und unterschiedlicher Ausgaben immer nur für kurze Zeit lieferbar. Zehn Jahre nachdem sich zuletzt ein norddeutscher Ayn Rand-Fan von seinen Ersparnissen getrennt und einen Verlag für die auch von ihm bezahlte Übersetzung gegründet hat, liegt jetzt seit August 2021 mit DER FREIE MENSCH eine weitere Neuübersetzung in dem ebenfalls neuen – und vermutlich auch extra für diese Veröffentlichung gegründeten – thinkum Verlag vor.

Eine Inhaltsangabe, die auch nur annähernd alles im Buch Vorkommende ansprechen würde, müsste den Rahmen dieser Besprechung bei weitem sprengen und könnte trotzdem das daran Faszinierende nicht wirklich erklären. Trotzdem ein ganz kurzer Überblick:

In einer Zeit, in der die sozialen und politisch-kulturellen Probleme in den USA groteske Ausmaße annehmen, versucht eine Koalition aus „Gleichmachern“ und „Volksfreunden“ mit immer größer werdender Unverschämtheit, die Macht an sich zu reißen und den freien Handel zu beschneiden.
Als Gegenreaktion verlassen viele angesehene Männer und Frauen ihre Posten, ihre Firmen, ja sogar ihre Familien und verschwinden einfach. Niemand kann sagen wohin und weshalb.
Mittels Notstandsgesetzgebung und Erpressung regiert von Washington aus eine Männerriege, die ihre Politik bei alkoholgeschwängerten Treffen in Clubs abspricht und alle Hemmungen fallen lässt, je mehr sich Intellektuelle, Wissenschaftler und habgierige Industrielle mit ihren Methoden abfinden bzw. sie sogar begrüßen und rechtfertigen.
Anhand zweier Einzelschicksale erzählt die Autorin vom letztlich vergeblichen Widerstand einer ebenso intelligenten wie kapitalstarken Elite, die der großen Masse der „Schmarotzer“ unterlegen ist. Diese ziehen sich in ein abgelegenes Tal in den Rocky Mountains zurück und brechen alle Brücken nach draußen ab. Es muss erst alles zusammenbrechen, bevor die dazu „Fähigen“ den Laden übernehmen und wieder aufbauen können – natürlich unter dem Zeichen des Dollars.

Stilistisch ist das Buch eine Mischung von Liebes-, Abenteuer- und Zukunftsroman, vermengt mit Theorie und Philosophie. Ayn Rand ist eine ausgezeichnete Erzählerin, die weiß, wann sie das Tempo anziehen muss, wann sie dem Leser Verschnaufpausen gönnen kann und wie viel theoretische Abhandlung ein Gespräch verträgt, bevor es langweilig wird. An einigen Stellen allerdings geht die Leidenschaft für ihre Idee mit ihr durch, und sie versprüht diese Begeisterung in einem die Leser erschöpfenden Ausmaß.
Diese Idee geht von einem elitären Standpunkt aus, der nur die persönliche Leistung anerkennt. Der Mensch muss zu seinen Taten und Gedanken stehen, keine Religion, keine Philosophie ist gestattet, welche Schwäche entschuldigt oder Verantwortung auf andere Schultern lädt. Es ist eine Idee, in der der Wohlfahrtsstaat nicht möglich ist und keine soziale Marktwirtschaft vorkommt. Kapitalismus und Egoismus pur – wobei Ayn Rand davon ausgeht, dass es positive Ergebnisse nach sich zieht, wenn jeder Mensch nach seinem „Wert“ behandelt wird.

Mit DER FREIE MENSCH liegt eine kapitalistische Utopie vor. Damit gehört das Buch zu einer äußerst seltenen literarischen Spezies, da solche Gedankengebäude zumeist „links“ stehen. In den Zeiten der täglichen Nachrichten über nicht mehr zu finanzierende Staatsleistungen und der politischen Verwerfungen in den USA, erscheint es dringend nötig, sich Gedanken über die Hintergründe dieser Entwicklungen zu machen.
Das Buch von Ayn Rand bietet zum Mindesten jede Menge Stoff für rege Diskussionen – und einen Einblick in das Innerste der amerikanischen Wirtschafts-Seele.

Horst Illmer

Horst schreibt viele Rezis für unsere Seite und trägt damit zur Vielfalt und Diversität bei. Wie jeder unserer Autoren hat er einen ganz eigenen und subjektiven Blick auf die Szene. Dieser einzigartige Blickwinkel steht ab und an ein wenig außerhalb meines eigenen Horizontes. Ich selbst bin natürlich außer Fanboy auch noch Verkäufer und Ladeninhaber. Deswegen gibt es ab und an auch Bücher, die mir weniger munden, weil Beispielsweise die Konditionen sehr schlecht sind, das Werk nicht mehr lieferbar oder im niedergelassenen Buchhandel nicht zu bestellen ist.

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Drei Phasen der Entwurzelung – Oder Die Liebe der Schildkröten

von am 5. April 2023 Kommentare deaktiviert für Drei Phasen der Entwurzelung – Oder Die Liebe der Schildkröten

Lisa Jenny Krieg
DREI PHASEN DER ENTWURZELUNG ODER DIE LIEBE DER SCHILDKRÖTEN.
Aachen, Wortschatten Verlag, 2022, 464 S.
ISBN 978-3 96964-028-9 / Kartoniert / 17,00 Euro

Manchen Büchern merkt man schon an ihren Titeln an, dass sie für ihre Autor*innen eine schwere Geburt waren. So lautet der etwa bei Lisa Jenny Kriegs Erstling DREI PHASEN DER ENTWURZELUNG ODER DIE LIEBE DER SCHILDKRÖTEN. Aufgeteilt in drei Großkapitel erzählt Krieg vom Leben dreier Frauen, die nicht nur, aber vor allem durch familiäre Bande zusammengehören, und die doch jede für sich gezwungen wird, ihr Schicksal ohne die jeweils anderen anzunehmen und neue, eigene Wege zu finden.

Mehr als 150 Jahre in der Zukunft versucht die Menschheit verzweifelt ihr Überleben in einer immer feindseligeren Umwelt zu sichern, indem sie auch die letzten Hemmungen fallen lässt und mittels der fortschrittlichsten Biotechnik Hybridwesen erschafft, deren genetischer Quellcode teilweise von Meerestieren stammt. Obwohl es erste Erfolge gibt, sind die gesellschaftlichen Widerstände zu groß und die Ergebnisse nicht wie gewünscht. Dass das Leben „immer einen Weg findet“, wissen wir ja nicht erst seit JURASSIC PARK – und was alles dabei schief geht, erzählen uns die Geschichten um Pandora und den Zauberlehrling.

Kriegs Neufassung dieser Schöpfungsmythen besticht durch gleich mehrere ungewöhnliche Ansätze. Da ist zum einen eine radikal-weibliche Sichtweise der Protagonistinnen, deren Handlungen und Überlegungen oftmals in einem sehr intimen Einblick in ihren Bewusstseinsstrom mitgeteilt werden. Die Handlungsorte sind in Nordafrika und auf der arabischen Halbinsel sowie den sie umgebenden Gewässern angesiedelt und spiegeln, ähnlich wie die Tätigkeiten und Interessen ihrer Figuren das Lebensumfeld der Autorin.

Und dann (als Wichtigstes) ist da noch die Tatsache, dass Lisa Jenny Krieg einfach eine herausragende Erzählerin ist. Ihre Geschichte entwickelt von Beginn an einen unwiderstehlichen Sog, ihre Sprache ist vollmundig, weltzugewandt und trotz aller technischen Präzession märchenhaft heimelig.

Als Beispiel möge die folgende Szene am Lagerfeuer zweier Forscherinnen dienen, die den sie umgebenden Wald kartieren: „Lokapi faltet Savannas Karte zusammen und steckt sie in die Tasche ihres Gewands, aber nicht, bevor sie nicht ein paar orangene Webervögel herausholt, die gerade dabei waren, ein Nest zu bauen. Entrüstet fliegen sie weg.“ (S. 417).

Horst Illmer

Lisa Jenny Krieg
DREI PHASEN DER ENTWURZELUNG ODER DIE LIEBE DER SCHILDKRÖTEN.
Aachen, Wortschatten Verlag, 2022, 464 S.
ISBN 978-3 96964-028-9 / Kartoniert / 17,00 Euro

Manchen Büchern merkt man schon an ihren Titeln an, dass sie für ihre Autor*innen eine schwere Geburt waren. So lautet der etwa bei Lisa Jenny Kriegs Erstling DREI PHASEN DER ENTWURZELUNG ODER DIE LIEBE DER SCHILDKRÖTEN. Aufgeteilt in drei Großkapitel erzählt Krieg vom Leben dreier Frauen, die nicht nur,

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Street Cop

von am 15. März 2023 Kommentare deaktiviert für Street Cop

Robert Coover
STREET COP.
Übersetzt von Clemens Meyer
Illustrationen von Art Spiegelman
(STREET COP / 2020)
Frankfurt/M., Berlin, S.Fischer, 2023, 132 S.
ISBN 978-3-10-397529-1 / 22,00 Euro

Der S.Fischer Verlag hat seinen Lesern zum 75. Geburtstag des Comic-Bestseller-Autors & -Zeichners Art Spiegelman (am 15. Februar 2023) ganz überraschend ein neues Buch geschenkt. Das kleinformatige und kaum 130 Seiten umfassende Werk enthält eine Science-Fiction-Geschichte von Robert Coover und trägt den Titel STREET COP. Spiegelman tritt hier als Illustrator an Coovers Seite. Er fertigte den Umschlag sowie zwanzig farbige Bilder an, die Spiegelman dabei zeigen, wie er, in absoluter Höchstform, einen Spaziergang durch die Comic-Historie hinlegt. Von Winsor McCay über EC-Grusel-Comics bis hin zu Robert Crumbs U-Comix und seinen eigenen MAUS-Geschichten reichen die Zitatsplitter, wobei jederzeit das Spiegelman-Original erkennbar bleibt.
Worum geht es in STREET COP? Coover wollte vor allem an Stelle eines Privatdetektivs oder eines Kriminalbeamten einmal einen ganz gewöhnlichen Straßen-Polizisten zur zentralen Figur einer Geschichte machen. Sein Ich-Erzähler ist ein leicht trotteliger Verlierertyp, der mit der neuen Technik in einem zukünftigen New York nicht so richtig zurechtkommt. Das beginnt mit der sexy KI-Assistentin auf seinem Diensthandy und hört mit den sich unablässig verschiebenden Straßenzügen aus dem 3D-Drucker, die ständig irgendwo in der Stadt auftauchen, noch lange nicht auf. Trotzdem versucht er, seinen Job zu erledigen, so gut es eben möglich ist in dieser surreal anmutenden neuen Welt. Selbst wenn es dabei um mysteriöse Todesfälle oder illegale Geschäfte mit echten Zombies geht. Als ihm im Laufe eines sehr langen Arbeitstages langsam klar wird, dass ihn seine Vorgesetzten und die Nachrichtenmedien zum Abschuss freigegeben haben, kommen ihm seine Erfahrungen als ehemaliger Drogendealer zugute. Es entwickelt sich eine atemberaubende Hetzjagd durch den Big Apple, die schon fast filmreif genannt werden kann. Auf der einen Seite verfolgt ihn eine unsichtbare, anonyme und unpersönliche Bürokratie, auf der anderen Seite verhelfen ihm fliegende Oldtimerautos, die Gäste einer Nudisten-Bar und eine ebenso verliebte wie untote Mutantin immer wieder zur Flucht.
Robert Coovers kurze Erzählung ist stilistisch so dicht gepackt, dass daraus auch ein weit umfangreicherer Science-Fiction-Roman in der Nachfolge des frühen Philip K. Dick hätte werden können. Hier wirken dann auch Spiegelmans Illustrationen imaginationsfördernd: die Doppelseite, die den Besuch des Street Cops in der „Zoohandlung Living Dead“ zeigt, spart dem Autor locker zwanzig Seiten ausführlicher Beschreibung – und bringt in Kleindetails auch noch den hintergründigen Humor des Ganzen zum Vorschein.
Jedenfalls steckt in dem relativ kleinen Büchlein weit mehr, als ihm auf den ersten Blick anzusehen ist. Ich empfehle, einfach mal rein zu schnuppern – da zeigen zwei Altmeister, dass sie noch lange nicht zum alten Eisen gehören!

Horst Illmer

Robert Coover
STREET COP.
Übersetzt von Clemens Meyer
Illustrationen von Art Spiegelman
(STREET COP / 2020)
Frankfurt/M., Berlin, S.Fischer, 2023, 132 S.
ISBN 978-3-10-397529-1 / 22,00 Euro

Der S.Fischer Verlag hat seinen Lesern zum 75. Geburtstag des Comic-Bestseller-Autors & -Zeichners Art Spiegelman (am 15. Februar 2023) ganz überraschend ein neues Buch geschenkt. Das kleinformatige und kaum 130 Seiten umfassende Werk enthält eine Science-Fiction-Geschichte von Robert Coover und trägt den Titel STREET COP.

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CAMP 4

von am 13. März 2023 Kommentare deaktiviert für CAMP 4

Volker Hamann & Matthias Hoffmann (Hrsg.)
CAMP 4
Magazin für Comic, Illustration und Trivialkultur
Barmstedt, Edition Alfons, 2022, 140 S.
Großformat / 19,00 Euro

Ende des Jahres 2022 erschien die langerwartete, heißersehnte Ausgabe Nummer 4 von CAMP, dem weltbesten Magazin für Comic, Illustration und Trivialkultur. Nach dreijähriger Pause hatten die Herausgeber Volker Hamann und Matthias Hofmann endlich genug Material zusammen (und die nötige Zeit für ihr Lieblingsprojekt auf der Zeitsparkasse angehäuft) und was soll man sagen: das Warten hat sich gelohnt.

Bereits das Titelbild (von Beeple, dem auch die erste große Bilderstrecke gewidmet ist) ist spektakulär – und die Texte und Bilder im Inneren halten dieses Niveau. Es gibt reichbebilderte Artikel u. a. von Hartmut Becker über die Kinderbuchillustratorin Ditz von Schneidewind; Paolo Caneppele und Günter Krenn schreiben über das seit einhundert Jahren andauernde Fortleben Nosferatus in der Neunten Kunst, Heinz J. Galle über Spielzeug-Roboter aus Blech, Christian A. Bachmann über quadratische Pulp-Bücher in den USA, Alex Nevala-Lee über die unschönen Seiten von Isaac Asimov, Horst Illmer über unbrennbare Bücher und Christian Blees stellt die vielfältigen Arbeiten des britischen Bildkünstlers Richard Clifton-Dey vor.

Das alles (und der ganze Rest) ist in einem wunderschönen, großzügigen und übersichtlichen Design gestaltet, das ständig zum Zurückblättern, intensiven Noch-mal-Betrachten, durch die Finger laufen lassen, an anderer Stelle festlesen und stetigem Erstaunen einlädt. An dieser Heftgestaltung können sich praktisch alle anderen (und nicht nur Genre-)Magazine ein Beispiel nehmen!

Wenn dabei jedes Mal so eine tolle CAMP-Ausgabe herauskommt, dann lohnt es sich auch nochmals drei Jahre auf die nächste Nummer zu warten – und dabei immer mal wieder die alten Ausgaben durchzusehen.

Horst Illmer

Volker Hamann & Matthias Hoffmann (Hrsg.)
CAMP 4
Magazin für Comic, Illustration und Trivialkultur
Barmstedt, Edition Alfons, 2022, 140 S.
Großformat / 19,00 Euro

Ende des Jahres 2022 erschien die langerwartete, heißersehnte Ausgabe Nummer 4 von CAMP, dem weltbesten Magazin für Comic, Illustration und Trivialkultur. Nach dreijähriger Pause hatten die Herausgeber Volker Hamann und Matthias Hofmann endlich genug Material zusammen (und die nötige Zeit für ihr Lieblingsprojekt auf der Zeitsparkasse angehäuft) und was soll man sagen: das Warten hat sich gelohnt.

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Comicverführer

von am 6. März 2023 Kommentare deaktiviert für Comicverführer

Timur Vermes
COMICVERFÜHRER.
Hamburg, HarperCollins, 2022, 319 S.
ISBN 978-3-365-00058-8 / 25,00 Euro
Kartoniert

Etwas überraschend tauchte das Sachbuch COMICVERFÜHRER (HarperCollins, 319 S.) von Timur Vermes vor Kurzem auf meinem „Radarschirm“ auf. Vermes hatte ich bisher nur als Autor von ER IST WIEDER DA (2012) gekannt, dass er nicht nur Club-Fan, sondern auch ein Comic-Kenner allerersten Ranges ist, war mir neu.

Angelehnt an Rolf Vollmanns unerreichten „Roman-Verführer“ DIE WUNDERBAREN FALSCHMÜNZER erzählt Vermes von den Bildergeschichten seiner Jugend und den „Wiedereinstiegsdrogen“, die ihn als erwachsenen Comic-Leser erneut in ihren Bann schlugen. Da ist naturgemäß vieles dabei, das man kennt (WATCHMEN, MAUS und Will Eisner), aber in 36 Kapiteln (die Titel tragen wie „Draufgänger, Dummköpfe, Drecksäcke“, Rückenschwimmen für romantiker“ oder „Die Sache mit den Mangas“) stellt Vermes auch viele Alternativen zum altbekannten Mainstream vor, gibt Anregungen und fügt auch, durchaus kritisch, jeweils eine Reihe von „Outtakes“ hinzu, die er für erwähnenswert aber nicht essenziell hält.

Und ein Buch, das mit den Worten „Frank Miller ist schuld“ beginnt, muss einfach jeden echten Comic-Fan zum Weiterlesen reizen!

Horst Illmer

Timur Vermes
COMICVERFÜHRER.
Hamburg, HarperCollins, 2022, 319 S.
ISBN 978-3-365-00058-8 / 25,00 Euro
Kartoniert

Etwas überraschend tauchte das Sachbuch COMICVERFÜHRER (HarperCollins, 319 S.) von Timur Vermes vor Kurzem auf meinem „Radarschirm“ auf. Vermes hatte ich bisher nur als Autor von ER IST WIEDER DA (2012) gekannt, dass er nicht nur Club-Fan, sondern auch ein Comic-Kenner allerersten Ranges ist, war mir neu.

Angelehnt an Rolf Vollmanns unerreichten „Roman-Verführer“ DIE WUNDERBAREN FALSCHMÜNZER erzählt Vermes von den Bildergeschichten seiner Jugend und den „Wiedereinstiegsdrogen“,

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TRISOLARIS – Die Trilogie

von am 22. Februar 2023 Kommentare deaktiviert für TRISOLARIS – Die Trilogie

Cixin Liu
TRISOLARIS – Die Trilogie
Ü: Karin Betz und Martina Hasse
München, Heyne, 2022, 1740 S.
ISBN 978-3-453-32245-5 / 40,00 Euro
Hardcover

Es ist ja eher selten, dass ein einzelnes Buch (oder in unserem Fall eine Trilogie) dafür verantwortlich gemacht werden kann, dass gleichsam ein neuer Kontinent auf der literarischen Landkarte auftaucht, aber Cixin Liu ist dies mit DIE DREI SONNEN für die chinesische Science Fiction gelungen. Nachdem der Roman erfolgreich die USA erobert hatte, gelang ihm dieses Kunststück auch in Deutschland. Der Heyne Verlag krönt diesen Triumphzug nun mit einer wirklichen Monumental-Ausgabe, die unter dem Titel TRISOLARIS – Die Trilogie alle drei Bücher (also auch DER DUNKLE WALD und JENSEITS DER ZEIT) vereint und zugleich editorische und herstellungstechnische Maßstäbe setzt.

Neben den Romanen gibt es im Buch je ein Vor- und ein Nachwort des Autors, sowie Anmerkungen und Erläuterungen zu Schreibweise und Aussprache von den Übersetzerinnen Karin Betz und Martina Hasse. Der Weltbestseller aus China (Werbetext) steckt in einem kräftigen Pappband im Format 25 x 18 Zentimeter, ist fadengeheftet, hat ein Lesebändchen – und einen Umfang von 1740 Seiten! Und man mag es glauben oder nicht: sogar die Ökobilanz ist so positiv wie möglich, wurde das Werk doch komplett in Deutschland gedruckt und gebunden. Wenn man dann noch den Preis von vierzig Euro mit den Einzelpreisen der Taschenbücher vergleicht, kann man ob der Ersparnis nur staunen.

Mit TRISOLARIS – Die Trilogie liegt die »Bibel« der chinesischen Science Fiction jetzt in einer absolut empfehlenswerten Ausgabe vor.

Horst Illmer

PS
Wer mehr über die Inhalte der einzelnen Bände erfahren möchte, kann hier
Die drei Sonnen
Der dunkle Wald
Jenseits der Zeit
weiterlesen.

Cixin Liu
TRISOLARIS – Die Trilogie
Ü: Karin Betz und Martina Hasse
München, Heyne, 2022, 1740 S.
ISBN 978-3-453-32245-5 / 40,00 Euro
Hardcover

Es ist ja eher selten, dass ein einzelnes Buch (oder in unserem Fall eine Trilogie) dafür verantwortlich gemacht werden kann, dass gleichsam ein neuer Kontinent auf der literarischen Landkarte auftaucht, aber Cixin Liu ist dies mit DIE DREI SONNEN für die chinesische Science Fiction gelungen. Nachdem der Roman erfolgreich die USA erobert hatte,

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Die linke Hand der Dunkelheit

von am 20. Februar 2023 Kommentare deaktiviert für Die linke Hand der Dunkelheit

Ursula K. Le Guin
DIE LINKE HAND DER DUNKELHEIT. Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch neu übersetzt von Karin Nölle
(The Left Hand of Darkness / 1969)
Frankfurt/M., Fischer/TOR, 2023, 350 S.
ISBN 978-3-596-70712-6 / 18,00 Euro
Klappenbroschur

„Ich werde meinen Bericht so abfassen, als erzählte ich eine Geschichte, denn man hat mich als Kind auf meiner Heimatwelt gelehrt, dass die Wahrheit eine Frage der Phantasie ist.“

Es gibt umfangreiche Sammlungen mit den „famous last words“ – den „berühmten letzten Worten“ – bekannter Persönlichkeiten aus Geschichte und öffentlichem Leben, desgleichen Anthologien mit Roman-Anfängen und -Enden, gezogen aus den Werken der Weltliteratur, aber in den wenigsten davon wird man einen Satz finden, der eine tiefere Weisheit und ein größeres Verständnis der Weltzusammenhänge ausdrückt, als der Anfang von Ursula K. Le Guins Roman DIE LINKE HAND DER DUNKELHEIT.

Die Handlung spielt auf einer fremden Welt und erzählt aus der Sicht eines Botschafters (oder Beobachters) von dessen Erlebnissen während der ersten Phase des Kennenlernens nach dem Erstkontakt. Dass ein solcher Prozess nicht ohne Komplikationen verläuft, ist normal, dennoch reichen die Schwierigkeiten in diesem Fall weit über das Erwartbare hinaus – ebenso wie die Lösungen, die sich im Verlauf der Geschichte ergeben …

Während der Lektüre steigert sich die Empfindung, hier weit mehr als nur eine spannende Abenteuerstory vorgesetzt zu bekommen, und führt am Ende zur Erkenntnis, dass wir einer außergewöhnlichen Erzählerin dabei lauschen durften, wie sie nicht nur eine ganze neue Welt aufgebaut, sondern dabei viele unserer Vorurteile zerschmettert und zugleich unsere Seele gestreichelt hat.
Le Guin ist die große Philosophin unter den Science-Fiction-Autorinnen, eine liebevoll und leichthändig Lehrende, und DIE LINKE HAND DER DUNKELHEIT ist unter ihren vielgestaltigen Meisterwerken eines der besten und wichtigsten. Umso schöner ist es da, dass dieser Klassiker jetzt in einer sehr gelungenen Neuübersetzung von Karen Nölle wieder vorliegt.

So findet auch der letzte Satz des Buches unsere wohlwollende Zustimmung und wir betteln gemeinsam mit den einheimischen Zuhörern am Herdfeuer: „Erzählst du uns von den anderen Welten in den Sternen – den anderen Menschen, den anderen Leben?“

Horst Illmer

Ursula K. Le Guin
DIE LINKE HAND DER DUNKELHEIT. Roman.
Aus dem amerikanischen Englisch neu übersetzt von Karin Nölle
(The Left Hand of Darkness / 1969)
Frankfurt/M., Fischer/TOR, 2023, 350 S.
ISBN 978-3-596-70712-6 / 18,00 Euro
Klappenbroschur

„Ich werde meinen Bericht so abfassen, als erzählte ich eine Geschichte, denn man hat mich als Kind auf meiner Heimatwelt gelehrt, dass die Wahrheit eine Frage der Phantasie ist.“

Es gibt umfangreiche Sammlungen mit den „famous last words“ – den „berühmten letzten Worten“ – bekannter Persönlichkeiten aus Geschichte und öffentlichem Leben,

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Im Schatten keiner Türme

von am 13. Februar 2023 Kommentare deaktiviert für Im Schatten keiner Türme

Art Spiegelman (Text & Bilder)
IM SCHATTEN KEINER TÜRME.
Aus dem Amerikanischen von Christine Brinck und Jürgen von Rutenberg
(IN THE SHADOW OF NO TOWERS / 2004)
Frankfurt, S. Fischer, 2019, 42 S.
Pappband im Überformat 36,5 x 25,5 cm
ISBN 978-3-10-397479-9 / 34,90 Euro

Am 15. Februar 2023 jährt sich der Geburtstag von Art Spiegelman zum 75. Mal. Obwohl ihm nach dem Pulizer Preis 1992 (für MAUS) und dem Siegfried Unseld Preis 2012 in den USA im letzten Jahr die „Medal for Distinguished Contribution to American Letters“ der National Book Foundation verliehen wurde, erfährt er hierzulande bei weitem nicht die Aufmerksamkeit, die ihm eigentlich zustünde. Das hat vermutlich damit zu tun, dass Spiegelman „Comics“ zeichnet.

Und Comics, schon immer im Spannungsfeld zwischen leichter/seichter Unterhaltung für ein Massenpublikum und höchstem künstlerischem Anspruch hin und her schwankend, haben im Literaturbetrieb immer noch einen schweren Stand. Dabei sind es die Arbeiten von Künstlern wie Art Spiegelman, die belegen, dass Comics im Allgemeinen, und nicht nur in Form der inzwischen allgemein akzeptierten „graphic novel“, ein ernst zu nehmendes Medium darstellen.

Deshalb wollte ich anstelle eines Geburtstagsständchens unbedingt eines meiner Lieblingsbücher von Spiegelman vorstellen.

Und das ist IM SCHATTEN KEINER TÜRME, das trotz seines Riesenformats in einem ganz bewusst gewählten minimalistisch-unaufgeregtem Design daherkommt, eine gleichermaßen bemerkens- wie beachtenswerte Ausnahmeerscheinung.
Der mattschwarze Einbandhintergrund wirkt durch die in schwarzem Hochglanzlack aufgetragenen Silhouetten der „Twin Towers“, das bunte Comic-Strip-Fenster und den in Grau gehaltenen Titel und Autornamen wie das Bildnis eines New York bei Stromausfall, aus dessen Black Out-Finsternis ein einzelnes, hellerleuchtetes Fenster heraussticht. Das macht bereits aus dem Bucheinband ein einzigartiges „Memento mori!“ für den 11. September 2001.
Art Spiegelman war ein von diesem Terrorakt gleich mehrfach Betroffener: Zum einen befinden sich sein Atelier und seine Wohnung im Süden Manhattans, zum anderen ging seine Tochter in eine Schule, direkt neben dem (ehemaligen) WTC-Standort. Da Spiegelman mitsamt Frau und Tochter an jenem verhängnisvollen Tag zuhause (also in Lower Manhattan) war, erlebten sie den Angriff und die Zerstörung der Türme aus nächster Nähe.
Art Spiegelman ist zugleich ein von mehreren Terrorakten Betroffener: Der Anschlag vom 11. September war für ihn ein weiteres Glied in einer Katastrophen-Kette, die bereits in den 1930er und 40er Jahren mit dem Vernichtungsfeldzug gegen die Juden in Europa begann (geschildert in dem immer noch unvergleichlichen MAUS-Büchern), sich mit anti-jüdischen Erlebnissen in den USA und dem völlig undemokratischen „Regierungssturz“ des Jahres 2000 durch George W. Bush fortsetzte – gefolgt vom hastig ausgerufenen und nur von persönlichen Interessen geleiteten „Krieg gegen den Terror“ des Bush-Regimes.
Wer nun glaubt, für all das wären wohl tausend Romanseiten nicht genug, der wird erstaunt feststellen, dass ein Genius wie der von Art Spiegelman genau zehn Comic-Seiten dafür brauchte.

Horst Illmer

Art Spiegelman (Text & Bilder)
IM SCHATTEN KEINER TÜRME.
Aus dem Amerikanischen von Christine Brinck und Jürgen von Rutenberg
(IN THE SHADOW OF NO TOWERS / 2004)
Frankfurt, S. Fischer, 2019, 42 S.
Pappband im Überformat 36,5 x 25,5 cm
ISBN 978-3-10-397479-9 / 34,90 Euro

Am 15. Februar 2023 jährt sich der Geburtstag von Art Spiegelman zum 75. Mal. Obwohl ihm nach dem Pulizer Preis 1992 (für MAUS) und dem Siegfried Unseld Preis 2012 in den USA im letzten Jahr die „Medal for Distinguished Contribution to American Letters“ der National Book Foundation verliehen wurde,

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Schattengold – Ach wie gut, dass niemand weiss…

von am 6. Februar 2023 Kommentare deaktiviert für Schattengold – Ach wie gut, dass niemand weiss…

Christian Handel
SCHATTENGOLD – ACH WIE GUT, DASS NIEMAND WEISS …
München, Piper, 2022, 400 S.
ISBN 978-3-492-70637-7 / Hardcover / 20,00 Euro

Dass Christian Handel in der vom Spessart umgebenen Kleinstadt Lohr am Main zur Welt kam, bietet dem inzwischen in Berlin lebenden Autor einen bezugsreichen biografischen Hintergrund, vor allem, wenn man hinzufügt, dass Lohr als „Schneewittchen-Stadt“ bekannt geworden ist (und, wie Spötter hinzusetzen mögen, als Standort der hässlichsten Märchen-Figuren-Statue Deutschlands). Unbeeindruckt von diesen Ephemera nahm sich Handel nun das „Rumpelstilzchen“-Märchen der Gebrüder Grimm vor und schrieb eine zeitgemäße, mit Fantasy-Elementen bereicherte Neuinterpretation, die unter dem Titel SCHATTENGOLD – ACH WIE GUT, DASS NIEMAND WEISS … zu Weihnachten 2022 im Piper Verlag erschienen ist.

Die Halbwaise Farah, die mit ihrem Vater und dem jüngeren BruderThomas im Wald lebt, hat trotz ihrer Jugend bereits Sorgen und Geheimnisse. Nicht nur das aufbrausende Gemüt des Vaters, der Verlust der viel zu früh gestorbenen Mutter, sondern auch die ungewöhnlichen Empfindungen ihres Bruders für andere Männer und ihr eigenes unbedachtes Überschreiten der Grenze zum Feenreich bringen sie in eine schwierige Lage. Und obwohl die Ratschläge ihrer alten Freundin Berit von Weisheit und Mitgefühl zeugen – Farah muss diese und jede Menge weitere Prüfungen selbst durchleben und ihre Lösungen dafür finden. Und dabei schmerzhaft erfahren, dass jede Goldmünze die hell im Licht glänzt auch eine schattige Seite besitzt …

Die Neuerzählung der märchenhaften Geschichte einer goldspinnenden Müllerstochter und eines dämonischen Kinderräubers entwickelt in Handels immerhin vierhundert Seiten langen Version eine zauberhafte Sogwirkung und eine Spannung, die noch dadurch unterstützt wird, dass ja auch bei den Grimms schon nicht immer alles gut ausging – und modernen Erzählern ist ja fast alles zuzutrauen!

Christian Handels literarische „Rumpelstilzchen“-Ahnenreihe reicht einerseits von Sigmund Freud über Theodor Storm bis zurück zu Georg Büchner, andererseits kann er sich natürlich auf seine eigenen Fähigkeiten als Verfasser so gelungener Phantastikromane wie ROWAN & ASH und BECOMING ELEKTRA verlassen. Fortschritt und Geschichtsbewusstsein prägen SCHATTENGOLD also genauso wie schauerlich-spannende Unterhaltung und atmosphärisch-gelungene Figurenbeschreibungen. Unter Umständen ist die Herkunft aus der sagenumwobenen Stadt im fränkischen Spessart ja doch nicht so unwichtig.

Horst Illmer

Christian Handel
SCHATTENGOLD – ACH WIE GUT, DASS NIEMAND WEISS …
München, Piper, 2022, 400 S.
ISBN 978-3-492-70637-7 / Hardcover / 20,00 Euro

Dass Christian Handel in der vom Spessart umgebenen Kleinstadt Lohr am Main zur Welt kam, bietet dem inzwischen in Berlin lebenden Autor einen bezugsreichen biografischen Hintergrund, vor allem, wenn man hinzufügt, dass Lohr als „Schneewittchen-Stadt“ bekannt geworden ist (und, wie Spötter hinzusetzen mögen, als Standort der hässlichsten Märchen-Figuren-Statue Deutschlands). Unbeeindruckt von diesen Ephemera nahm sich Handel nun das „Rumpelstilzchen“-Märchen der Gebrüder Grimm vor und schrieb eine zeitgemäße,

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Weißer Schrecken – Limitierte Ausgabe

von am 30. Januar 2023 Kommentare deaktiviert für Weißer Schrecken – Limitierte Ausgabe

Thomas Finn
Weißer Schrecken. Roman.
Illustriert von Ben Baldwin
Grimma, Buchheim Verlag, 2022, 480 S. + Beilagen
Limitierte Ausgabe, Hardcover im Schuber, Ohne ISBN, 79,99 Euro

Es beginnt im Dezember 2010, im Studio eines bayerischen Lokalsenders, während einer Spendengala für hungernde Kinder: Der Arzt Andreas Meyenberg wird von einem der Anrufer persönlich attackiert. Wie sich schnell herausstellt, sind der Anrufer und Andreas alte Bekannte. Gemeinsam wuchsen sie in Perchtal auf, einem abgelegenen Dorf im Berchtesgadener Land. Und damals, vor sechzehn Jahren, in der Woche vor dem Nikolaustag 1994, erlebten Andreas, Miriam, Niklas, Robert und Elke die schlimmste Woche ihres Lebens.
Es begann eigentlich noch viel früher: Wie sich herausstellt, handelt es sich bei der Wasserleiche, die 1994 von den Jugendlichen entdeckt wurde, um ein 1978 verschwundenes Mädchen aus dem Dorf – und dass sie den Zwillingsschwestern Elke und Miriam aufs Haar gleicht, ist leider auch kein Zufall!
Nach und nach stellt sich heraus, dass jeder der fünf Freunde in einer Familie groß wurde, die vor sechzehn Jahren ein Kind verloren hat. Und obwohl in einem kleinen Dorf über praktisch alles geredet wird, war über dieses schreckliche Geschehen ein absoluter Mantel des Schweigens gebreitet. Und auch jetzt wollen die Erwachsenen nicht mit der Sprache herausrücken. Was bleibt den Heranwachsenden also anderes übrig, als auf eigene Faust zu versuchen, dieses Geheimnis zu lüften. Denn alle Kinder verschwanden an einem 6. Dezember – und bis Nikolaus sind es nur noch wenige Stunden …
Für Andreas, der die damaligen, traumatischen Erlebnisse niemals vergessen konnte und der deshalb Perchtal und den Bergen für immer den Rücken gekehrt hat, wird durch den Anruf von Niklas deutlich, dass er sich, zusammen mit seinen Ex-Freunden, erneut dem „weißen Schrecken“ stellen muss.
Es endet im Dezember 2010 mit einer Katastrophenmeldung aus dem Studio eines bayerischen Lokalsenders – und erst in sechzehn Jahren wird sich zeigen, ob der „weiße Schrecken“ wirklich gebannt wurde.

Munter vermischt Finn in seinem Buch alteingesessene heidnische Bräuche der bayerischen „Ureinwohner“ mit Schreckensszenarien a la Lovecraft oder King. Nach der Lektüre der fast 500 Seiten sieht man jedenfalls den Nikolaus – und vor allem dessen unheimlichen Begleiter Knecht Ruprecht – mit ganz anderen Augen!

Mit dem erstmals 2010 als Taschenbuch erschienenen Roman WEISSER SCHRECKEN erfüllte sich der in Chicago geborene und heute in Hamburg lebende Thomas Finn seinen Traum, einmal einen stimmungsvollen Gruselroman zu schreiben. Nachdem die Rechte an ihn zurückgefallen waren, fand er beim Buchheim Verlag offene Arme und konnte dort eine mehrfarbig gedruckte, illustrierte und um ein Rollenspielszenario und diverse Beilagen erweiterte und auf 777 Exemplare limitierte Hardcoverausgabe herausbringen. (Wer das breite Grinsen auf Tom Finns Gesicht bei der Buchpräsentation in Würzburg gesehen hat, weiß, dass hier ein Herzenswunsch in Erfüllung ging – und tatsächlich hat der Verlag selbst bei der Umsetzung eines Daumenkinos auf den Seitenrändern mit keiner Wimper gezuckt und auch diesen Autorenwunsch erfüllt.) Herausgekommen ist bei dieser Zusammenarbeit ein bibliophiles Meisterstück – fast zu schade, um es ganz profan seiner Bestimmung nach als Buch zum Lesen und Spielen zu benutzen. 🙂

Horst Illmer

Thomas Finn
Weißer Schrecken. Roman.
Illustriert von Ben Baldwin
Grimma, Buchheim Verlag, 2022, 480 S. + Beilagen
Limitierte Ausgabe, Hardcover im Schuber, Ohne ISBN, 79,99 Euro

Es beginnt im Dezember 2010, im Studio eines bayerischen Lokalsenders, während einer Spendengala für hungernde Kinder: Der Arzt Andreas Meyenberg wird von einem der Anrufer persönlich attackiert. Wie sich schnell herausstellt, sind der Anrufer und Andreas alte Bekannte. Gemeinsam wuchsen sie in Perchtal auf, einem abgelegenen Dorf im Berchtesgadener Land.

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Die Weltenschöpfer Band 3

von am 18. Januar 2023 Kommentare deaktiviert für Die Weltenschöpfer Band 3

Charles Platt
DIE WELTENSCHÖPFER. Band 3.
Kommentierte Gespräche mit Science-Fiction-Autorinnen und -Autoren.
Ü: Frank Böhmert, Horst Illmer, Matita Leng u.v.a.m.
(DREAM MAKERS II / 1983)
Berlin, Memoranda, 2022, 338 Seiten
ISBN 978-3-948616-74-8 / 21,90 Euro
Klappenbroschur

Es ist ja häufig so: Das Beste kommt zuletzt.

Auch die Reihe der WELTENSCHÖPFER-Bücher von Charles Platt, die von 2021 bis 2022 im Memoranda Verlag erschienen ist, macht da keine Ausnahme. Allerdings spielt hier wohl eher der Zufall eine Rolle, als bewusste Planung. Durch die Aufteilung der zwei Originalbücher der DREAM MAKERS in drei deutsche Ausgaben kam es jedenfalls zu einer Häufung der interessantesten Interviews, die Platt mit gut fünf Dutzend Schriftsteller*innen führte, in DIE WELTENSCHÖPFER. Band 3.

Erstmals kommen hier mit Andre Norton, Kit Reed, Joanna Russ, Alice Sheldon (aka James Tiptree jr.) Janet Morris und Joan D. Vinge gleich mehrere Autorinnen ausführlich zu Wort und rechtfertigen dadurch den Untertitel der „kommentierten Gespräche mit Science-Fiction-Autorinnen und -Autoren“. Hinzu kommen dann viele weitere interessante Künstler und Herausgeber wie Theodore Sturgeon, Fritz Leiber, Poul Anderson, Harry Harrison, Donald A. Wollheim, Joe Haldeman und Piers Anthony. Bei den Interviews mit den „Außenseitern“ Robert Anton Wilson und L. Ron Hubbard beweist Platt erneut, dass er den Blick über den Tellerrand nicht scheut und auch vor einem intensiven persönlichen Einsatz (wie im Fall des Scientology-Gründers Hubbard) nicht zurückscheut. Glanz- und Schlusspunkt ist das Doppelinterview, das Platt zusammen mit seinem Freund Douglas E. Winter mit dem 1982 zwar schon weltberühmten, aber eigentlich noch am Anfang seiner Karriere stehenden Stephen King führte. Der „Meister des Horrors“ erweist sich auch als „Meister der Inszenierung“ wie Platt in seinen Nachbemerkungen eindrücklich schildert.
Überhaupt muss nochmals darauf hingewiesen werden, dass alle drei WELTENSCHÖPFER-Bände Welterstveröffentlichungen darstellen. Die von Platt als „Historischer Kontext“ bezeichneten Anmerkungen und Erinnerungen sind zwar bei einigen der Interviewten recht kurz – dafür erreichen sie bei den wichtigen und spannenden Leuten zuweilen einen Umfang, der den Interviewtext verdoppelt. Die hier gewährten Einblicke in das „Allerheiligste“ der Science Fiction sind von unschätzbaren Wert für alle an diesem Genre Interessierten und zudem auch noch unterhaltsam zu lesen!

So muss gute Sekundärliteratur aussehen!!

Horst Illmer

Charles Platt
DIE WELTENSCHÖPFER. Band 3.
Kommentierte Gespräche mit Science-Fiction-Autorinnen und -Autoren.
Ü: Frank Böhmert, Horst Illmer, Matita Leng u.v.a.m.
(DREAM MAKERS II / 1983)
Berlin, Memoranda, 2022, 338 Seiten
ISBN 978-3-948616-74-8 / 21,90 Euro
Klappenbroschur

Es ist ja häufig so: Das Beste kommt zuletzt.

Auch die Reihe der WELTENSCHÖPFER-Bücher von Charles Platt, die von 2021 bis 2022 im Memoranda Verlag erschienen ist, macht da keine Ausnahme. Allerdings spielt hier wohl eher der Zufall eine Rolle,

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Adventskalender 2022 T-02: "Neongrau"

von am 22. Dezember 2022 Kommentare deaktiviert für Adventskalender 2022 T-02: "Neongrau"

Aiki Mira
NEONGRAU – GAME OVER IM NEUROSUBSTRAT
Heidelberg, Polarise, 2023, 520 S.
ISBN 978-3-949345-28-9 / 16,95 Euro

Es ist nicht gänzlich unwahrscheinlich, dass Hamburg in einhundert Jahren nicht mehr am Meer liegt, sondern im Meer. Um dennoch als Stadt, Besuchermagnet und Wirtschaftszone bestehen zu können, sind drastische Änderungen nötig. Schwimmende Wohnungen, Unterwasser-Touristenbusse für Besichtigungstouren in den versunkenen Stadtteilen und die Übergabe der Stadtschlüssel an einen E-Sport-und-Gaming-Konzern sind nur einige der Lösungsansätze wie sie Aiki Mira (die selbst begeisterte Hamburgerin ist) in ihrem neuen Roman NEONGRAU – GAME OVER IM NEUROSUBSTRAT anbietet.
Erleben lässt sie uns diese Zukunftswelt durch die (bioelektrisch veränderten) Augen von ELLL und Stuntboi , zwei Jugendlichen, die sich erstmals begegnen, als ELLL dafür sorgt, dass sich Stuntboi bei einer gewagten Stunt-Szene für ein VR-Video so schwer verletzt, dass die Karriere als Risiko-Double erst mal auf Eis liegt. Den Auftrag dazu erhielt ELLL von einer älteren Freundin, für die sie hin und wieder solche Jobs erledigt. Allerdings war es nicht eingeplant, dass sich die Beiden bei dieser Aktion ineinander verlieben …
Eingebettet ist deren immer komplizierter werdende Beziehung in eine Rahmenhandlung, in der in Hamburg ein VR-Gaming-Turnier der Superlative stattfindet, bei der sich sowohl für ELLL wie für Stuntboi ganz neue Wege zum Ruhm auftun, wo sich die immer „stärker“ werdenden Gaming-KIs überlegen, ob sie ihre Überlegenheit zeigen und „ausspielen“ sollen – und dann gibt es noch einen bösen alten Mann, der hektisch an einer Bombe bastelt, die er während des Turniers hochgehen lassen will.
Abstrakte Beschreibungen einer Zukunft in der abstrakte Protagonisten abstrakte Dinge tun gibt es zuhauf. Bei Aki Mira dagegen lässt sich miterleben was mit richtigen Personen in ihrem zukünftigen Dasein geschieht und wie sie darauf reagieren. Wenn Gamer im Neurosubstrat versinken und eintauchen in die virtuellen Realitäten ihrer Spiele, wenn Konzertbesucher sich den Beats ihrer Lieblingsbands hingeben, wenn zwei frisch Verliebte scheue Blicke miteinander tauschen, dann fühlt sich das beim Lesen so an als sei man dabei und spiele mit, fiebere mit, leide mit.
Nachdem Aiki Mira schon mehrfach bewiesen hat, dass sie stilistisch praktisch alle Sub-Genres der Science Fiction beherrscht (Space Opera, Utopie, Steampunk usw.), ist es keine allzu große Überraschung, dass sie genauso überzeugend im Jugendslang des Jahres 2112 erzählen kann.
NEONGRAU ist eine brillant geschriebene, fiebrig pulsierende, rasant sich entwickelnde Geschichte, deren Sog sich bis zur letzten Seite sogar noch steigert. Es bleibt keine Zeit zum Luft holen, Atmen wird total überschätzt, bestellen Sie einfach ein Reanimationsteam – und LOS!

Horst Illmer

Aiki Mira
NEONGRAU – GAME OVER IM NEUROSUBSTRAT
Heidelberg, Polarise, 2023, 520 S.
ISBN 978-3-949345-28-9 / 16,95 Euro

Es ist nicht gänzlich unwahrscheinlich, dass Hamburg in einhundert Jahren nicht mehr am Meer liegt, sondern im Meer. Um dennoch als Stadt, Besuchermagnet und Wirtschaftszone bestehen zu können, sind drastische Änderungen nötig. Schwimmende Wohnungen, Unterwasser-Touristenbusse für Besichtigungstouren in den versunkenen Stadtteilen und die Übergabe der Stadtschlüssel an einen E-Sport-und-Gaming-Konzern sind nur einige der Lösungsansätze wie sie Aiki Mira (die selbst begeisterte Hamburgerin ist) in ihrem neuen Roman NEONGRAU – GAME OVER IM NEUROSUBSTRAT anbietet.

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Adventskalender 2022 T-16 "Neue Bekenntnisse eines Buchhändlers"

von am 8. Dezember 2022 Kommentare deaktiviert für Adventskalender 2022 T-16 "Neue Bekenntnisse eines Buchhändlers"

Shaun Bythell
NEUE BEKENNTNISSE EINES BUCHHÄNDLERS.
Ü: Klaus Berr
(Confessions of a Bookseller / 2019)
München, btb, 2022, 460 S.
ISBN 978-3-442-77067-0 / 12,00 Euro

Nein, nein, nein!
Ich werde jetzt nichts aus diesem Buch mit dem unscheinbaren Titel NEUE BEKENNTNISSE EINES BUCHHÄNDLERS zitieren.
Auf keinen Fall. Niet, Nix, Niente!!
(Keine Ahnung ob „Niente“ ein Wort ist, das es gibt und welche Bedeutung es hat.)
Das ist einfach unfair. Da versucht man als Rezensent seiner Bestimmung zu folgen, entwickelt spannende Handlungsbögen und verkaufsfördernde Argumentationsketten, will die Leser mit feinem Gespür für die Lektüre präparieren, möchte nicht zu viel verraten, nicht spoilern und trotzdem spannend und interessant sein – und dann das!!!

Dieser Shaun Bythell (der ja von sich behauptet, Buchhändler zu sein, kein Schriftsteller) setzt sich einfach hin, führt Tagebuch, schreibt auf, was in seiner Buchhandlung im schottischen Wigtown so passiert – und Du kannst das ver###te Buch an jeder beliebigen Stelle aufschlagen und liest Dich sofort fest, blätterst um, lachst, grinst, liest weiter, blätterst zurück usw. usw. etc. pp…

Was braucht’s da noch Rezensenten. Lest das Ding doch einfach.

Horst Illmer

Shaun Bythell
NEUE BEKENNTNISSE EINES BUCHHÄNDLERS.
Ü: Klaus Berr
(Confessions of a Bookseller / 2019)
München, btb, 2022, 460 S.
ISBN 978-3-442-77067-0 / 12,00 Euro

Nein, nein, nein!
Ich werde jetzt nichts aus diesem Buch mit dem unscheinbaren Titel NEUE BEKENNTNISSE EINES BUCHHÄNDLERS zitieren.
Auf keinen Fall. Niet, Nix, Niente!!
(Keine Ahnung ob „Niente“ ein Wort ist, das es gibt und welche Bedeutung es hat.)
Das ist einfach unfair.

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comicdealer.de